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geschrieben von: Redaktion am 02.06.2012, 21:33 Uhr
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Dass Jan Stöß von den Delegierten seines Heimatbezirks Friedrichshain-Kreuzberg für den Posten des SPD-Landesvorsitzenden am Freitagabend nominiert wurde, ist keine Meldung wert. Eher dann noch, dass Michael Müller immerhin noch 14 der 88 Stimmen bekommen hat, ein Delegierter gab eine ungültige Stimme ab, ein anderer enthielt sich, so dass sich Stöß über 72-mal Ja freuen konnte. Abgestimmt wurde dann tatsächlich geheim. Vorher hieß es noch, man wolle offen abstimmen.
Die Veranstaltung in Friedrichshain-Kreuzberg hat eigentlich nur insoweit noch Informationswert, als dass sie die letzte von 15 war, in denen sich Müller und Stöß verbal duellierten. Ich habe an einigen dieser Gesprächs- und Fragerunden teilgenommen und muss sagen, dass mir immer noch nicht klar ist, warum Michael Müller durch Jan Stöß ersetzt werden muss. Zählt man die Fakten zusammen, braucht die SPD keinen neuen Vorsitzenden. Der Amtsinhaber hat seine Sa-che äußerst ordentlich gemacht und gemeinsam mit dem Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit der Partei zehn Jahre lang Erfolg durch Geschlossenheit beschert.
Das ist einer bestimmten Gruppierung in der SPD offenbar zu langweilig. Für sie kommt die Ei-genständigkeit der Partei nicht genügend zum Tragen. Eine Regierungspartei und die aus ihr hervorgegangene Parlamentsfraktion hat vor allem eine Aufgabe, nämlich die eigene Regierung zu unterstützen, wo es nur geht. Partei und Fraktion sind die Säulen auf denen das Regierungs-gebäude steht. Mit guten Argumenten kann man denen nicht kommen, die um jeden Preis die Macht erobern wollen. Ihnen scheint völlig egal zu sein, ob das Konstrukt einstürzt oder nicht. Sie wollen vor allem jetzt die Entscheidung, damit sich die Wogen bis zur Wahl 2016 geglättet haben und sich niemand mehr an die Ereignisse aus 2012 erinnern kann.
Man will Müller weg haben und damit signalisieren, dass es für Wowereit auch langsam Zeit wird, sich etwas anderes zu suchen. Vermutlich würde Raed Saleh, der Fraktionsvorsitzende, am liebsten selbst neuer Regierender Bürgermeister werden. Fast unbemerkt gräbt sich jedoch ein anderer die Startlöcher, nämlich Finanzsenator Ulrich Nußbaum. Er sollte aber erst einmal in die SPD eintreten, bevor er dieses Amt anstrebt.
Die Leute um Jan Stöß wollen jetzt mit der Abwahl von Michael Müller die Wende in der Berli-ner SPD einleiten. Darum geht es, um nichts anderes. Natürlich ist es völlig legitim, dass es zwei oder mehr Kandidaten für ein Amt gibt. Einige Umstände in dem ganzen Vorgang sind aber schon äußerst befremdlich. Dass ausgerechnet die SPD, die sich vehement für Partizipation ein-setzt, eine Befragung der eigenen Mitglieder verhindern will, ist erstaunlich. Gut, es ist nicht die SPD, es sind die Stöß-Anhänger, die offenbar vor den eigenen Mitgliedern Angst haben.
Wenn am 9. Juni der Landesvorsitzende gewählt ist, wird der Streit in der SPD weitergehen, egal wie der neue Chef heißt. Am 26. Mai meldete DER TAGESSPIEGEL, dass sich mit dem Füh-rungsstreit in der Berliner SPD nun die Schiedskommission befassen soll. „Der SPD-Kreischef in Steglitz-Zehlendorf, Michael Arndt, schrieb einen Brief an die Kommissionsvorsitzende Hanne-lore Kohl, um zu klären, wie die neuen Richtlinien für die innerparteiliche Basisdemokratie an-zuwenden sind. Es geht um die Frage, ob der SPD-Landesparteitag am 9. Juni einen neuen Vorsitzenden wählen kann, wenn gleichzeitig eine Erfolg versprechende Initiative für eine Mit-gliederbefragung läuft“, schreibt DER TAGESSPIEGEL und zitiert Michael Arndt wie folgt: „Ich will eine Legitimitätskrise in der Berliner SPD verhindern“. „…es gebe noch keine Erfahrungen mit den von der Bundespartei erst kürzlich eingeführten Regeln für eine Urwahl von Parteivorsit-zenden. Was sei höherrangig: Das Delegierten- oder das Mitgliederprinzip? Unter welchen Um-ständen könne ein Wahl-Parteitag stattfinden oder müsse verschoben werden?“ Alles durchaus berechtigte Fragen. Allerdings nicht für das Spandauer Sprachrohr der Stöß-Anhänger, Ulrike Sommer, die als Landeskassiererin in der Stöß-Crew vorgesehen ist.
„Es ist bizarr“, schreibt sie auf ihrer Seite www.sommer-spandau.de. „Immer neue Winkelzüge denken sich Michael Müller und seine Anhänger aus, um nur ja den normalen Weg nicht gehen zu müssen – den zum Landesparteitag der Berliner SPD am 9. Juni. Nun soll es also die Bun-desschiedskommission richten.“ Tatsache ist, dass sich der Punkt Mitgliederbefragung Ja oder Nein vom Landesvorstand der Berliner SPD nicht klären lässt. Ist es da nicht geradezu erforder-lich, an höherer Stelle nachzufragen? Frau Sommers Einlassungen zeigen deutlich, welche Cha-rakterzüge künftig in der SPD gefragt sein sollen.
Wie gesagt, die Kreisdelegiertenversammlung in Friedrichshain-Kreuzberg ist eigentlich keiner besonderen Erwähnung wert, wenn nicht deutlicher, ja erschreckender als andernorts dieser un-glaubliche Hass, diese unerklärliche Ignoranz, nicht im Sinne von Dummheit, sondern von Desin-teresse, deutlich erkennbar geworden wäre. Michael Müller hielt, wie so häufig in den letzten Tagen, eine engagierte, auf Fakten basierende Rede. Zum Schluss bekam er müden Höflich-keitsapplaus, immerhin. Zwischendurch rührte sich keine Hand, und wenn, wurde derjenige bzw. diejenige verächtlich angeschaut. Stöß’ Rede hatte wenig Substanz. Er unterstrich erneut unver-blümt, wie er sich die Eigenständigkeit der Partei unter seiner Führung vorstelle. Was die Partei beschließe, müsse umgesetzt werden. Woran erinnert mich das? Richtig: Die Partei, die Partei, die hat immer Recht! Ausschreibung des S-Bahn-Netzes? Nein. Und wenn aufgrund europäi-scher Richtlinien eine Ausschreibung erfolgen muss, dann gilt: Die Partei, die Partei, die hat im-mer Recht. Müller wies darauf hin, dass man alles prüfen könne, ein Gutachten, noch eins, und noch eins. Aber irgendwann müsse Schluss sein, damit zum Beispiel neue Wagen für die S-Bahn bestellt werden können. Man kann das nicht ewig hinauszögern, denn die Partei hat auch für die Bevölkerung da zu sein, und diese möchte gern pünktlich von A nach B kommen. Jubel bei Stöß, als er den Parteibeschluss zitierte, keine Teilausschreibung bei der S-Bahn, und To-tenstille, als Müller auf die Verpflichtung der Partei hinwies, für einen funktionierenden ÖPNV zu sorgen.
Was sind das für Leute, die da sitzen? Vertreterinnen und Vertreter der größten Partei der Stadt? Wissen die das? Noch zwei Beispiele zum Schluss, die verdeutlichen, mit welchem Hass Leute aus dem Stöß-Lager auf Michael Müller losgehen. Gerlinde Schermer hat sicherlich viele Ver-dienste um die SPD in der Stadt. In dem Zeitraum zwischen Wende und Wiedervereinigung war sie die erste Ost-Berlin-Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Selbständige in der SPD (AGS), später lange Zeit stellvertretende Vorsitzende. Sie war Abgeordnete und engagierte sich für Bür-gerbegehren, zum Beispiel beim Thema Berliner Wassertisch. Über ihr Engagement zum Thema Mitgliederbefragung in der SPD, ist nichts bekannt. Schermer ist gemeinsam mit Hans-Georg Lorenz Vorsitzende/Sprecherin, was auch immer, des ultra-linken so genannten Donnerstags-kreises, dessen Bedeutung gegen Null tendiert.
Sie hat 1999 im Abgeordnetenhaus bei der Abstimmung über die Teilprivatisierung der Berliner Wasserbetriebe gemeinsam mit Michael Müller, als einzige SPD-Abgeordnete, dagegen ge-stimmt. Müller hat das in seiner Rede erwähnt und rief damit Frau Schermer auf den Plan. Sie eilte in der Aussprache ans Rednerpult und beschimpfte Müller. Sie schrie ununterbrochen ins Mikrophon und warf Müller vor, sich nach der Abstimmung nicht genügend gegen diese Teilpri-vatisierung eingesetzt zu haben. Natürlich kann man alles und jeden kritisieren. Es kommt aber immer auch auf die Art und Weise und vor allem auf den Ton an. Frau Schermer hat in ihrem Beitrag das Maß des Erträglich weit überschritten. Blanker Hass durchdrang den Saal. Jubelnder Applaus begleitete sie zurück auf ihren Platz. Das war toll. Hatte sie es doch dem ungeliebten Vorsitzenden so richtig gegeben.
Als Müller dann erwiderte, dass Schermer als Abgeordnete der BEWAG-Privatisierung ohne Murren zugestimmt habe, einem Vorgang, der noch viel schlimmer war, brubbelte die Ex-Abgeordnete Unverständliches vor sich hin und die Delegierten ignorierten einfach diesen Ge-genschlag.
Besonders erfrischend war, dass man auch den Berliner Jusos gestattete zu reden. Kevin Küh-nert, Juso-Chef von Berlin und Mitglied im selben Kreisverband wie Michael Müller, Tempelhof-Schöneberg, zitierte aufgeregt aus irgendeiner Parteipostille, in der er gelesen hat, dass sich Müller gegen einen Beschluss zur Herabsetzung des Wahlalters auf 16 ausgesprochen habe. Er Kühnert, und die Jusos, hätten doch die einhundertste Stimme im Abgeordnetenhaus „besorgt“, die notwendig gewesen wäre, um die Verfassungsänderung hinzubekommen. Müller musste seinem jungen Partei“freund“ allerdings mitteilen, dass dies nicht stimme. Die Wahrheit ist, dass innerhalb der SPD-Fraktion keine Mehrheit zustande gekommen wäre und somit Müller nicht den Weg einer unsicheren Abstimmung gehen wollte. Fritz Felgentreu vom rechten Parteiflügel, hat-te Müller vor der Abstimmung mitgeteilt, dass die Rechten nicht mitstimmen werden. Und so sag-te Müller das Verfahren ab. Fritz Felgentreu, der am Freitag in Friedrichshain-Kreuzberg anwe-send war, bestätigte Müllers Ausführungen. Auch das hinterließ keine Regung bei den Delegier-ten. Hauptsache man hat den Vorsitzenden erst einmal beschuldigt, wenn nichts dran ist, dann eben nicht.
Fritz Felgentreu ist übrigens der neue Star der Stöß-Gruppe. Stöß ist ja Sprecher der SPD-Linken. Wer diese Linken sind, weiß niemand so genau. Die Flügel haben sich im Machtkampf verschoben und teilweise aufgelöst. Felgentreu, Kreischef von Neukölln, soll einer von Stöß’ Stellvertretern werden. Was für ein tolles Bündnis.
Und zum Schluss noch einen Punkt, der mir bislang nicht bekannt war. Warum hat Stöß in sei-nem Team niemanden mit Migrationshintergrund (im Gegensatz zur Müller-Crew)? Weil Migrati-on bei Stöß Chefsache ist! Darauf muss man kommen. Und schließlich habe er sich dafür einge-setzt, dass es an der Fraktionsspitze jemanden mit Migrationshintergrund gibt, nämlich Raed Saleh. Donnerwetter. Dass Stöß’ starker Arm bis in die Fraktion reicht, ist beachtlich. Vor allem zu einem Zeitpunkt, als Stöß außerhalb von Friedrichshain-Kreuzberg noch niemand kannte. Ja, es sind schon viele lustige Dinge, die man so auf Parteiveranstaltungen erfährt. Nun erleben wir eine Woche lang die Ruhe vor dem Sturm. Ein Genosse legte Wert auf die Feststellung, dass es bei der Berliner SPD noch längst nicht so schlimm sei, wie bei den Bundes-Linken. Man muss nur daran glauben.
Ed Koch
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