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Zählgemeinschaft - zum Zweiten

geschrieben von: Redaktion am 27.09.2013, 18:37 Uhr
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Die „konsequente“ Mischung zwischen der sachlichen Information über und die kommentierende Betrachtung zu einer bestimmten Praxis erleichtert der Leserschaft mitunter nicht die Entwicklung des eigenen Urteilsvermögens. So möchte ich die „TS-Polemik-Keule“ von Ed Koch, die übrigens von den Adressaten zumindest in einer Fraktion nicht (mehr) gelesen wird, um einige - in dieser Hinsicht jedoch differenzierte - Aspekte anreichern. Und dieses Mal ohne Fußnotenspektakel…

„Zählgemeinschaft“ ist kein bezirksverwaltungsrechtlicher Begriff?

Die Antwort ist ein unmissverständliches „Jein“ - Radio Eriwan lässt grüßen. Richtig ist, dass der Gesetzgeber das Wort nicht verwendet. Unter „Wahl und Abberufung der Bezirksamtsmitglieder“ regelt § 35 Abs. 2 des Bezirksverwaltungsgesetzes:

„Das Bezirksamt soll auf Grund der Wahlvorschläge der Fraktionen entsprechend ihrem nach dem Höchstzahlverfahren (d‘ Hondt) berechneten Stärkeverhältnis in der Bezirksverordnetenversammlung gebildet werden. Bei der Wahl des Bezirksbürgermeisters gelten gemeinsame Wahlvorschläge von mehreren Fraktionen als Wahlvorschläge einer Fraktion; diese sind auf die Wahl-vorschlagsrechte der an dem gemeinsamen Wahlvorschlag beteiligten Fraktionen anzurechnen. Bei Gleichheit der Höchstzahlen entscheidet das auf der Grundlage der erzielten Wählerstimmen nach dem Höchstzahlverfahren (d‘ Hondt) berechnete Stärkeverhältnis. Ergeben sich danach erneut gleiche Höchstzahlen, so entscheidet das Los.“

Der hier besonders interessierende Satz 2 hat „nachwendischen“ Charakter und trat zu Beginn der 13. Wahlperiode in Kraft (November 1995). Zuvor war das Nominierungsrecht aller Mitglieder des Bezirksamts auf der Berechnungsgrundlage des d´Hondt´schen Höchstzahlverfahrens streng an die Mehrheits- und Stärkeverhältnisse gebunden, zwar ggf. angezweifelt, jedoch regelmäßig verwaltungsgerichtlich bestätigt. Die Geschichte der Berliner Bezirke enthält allerdings auch die Phase bis April 1971, in der kein „Proporz-Bezirksamt“ vorgeschrieben war. „Damals war es (eben nicht nur) so“, sondern auch „so“ - und für die Wahl der Mitglieder des Vorstands der BVV, also auch Vorsteher/in, bestand nie eine rechtlich zwingende Verknüpfung mit dem jeweiligen Wahl-ergebnis.

Zu beachten ist jedoch auch, dass der Begriff „Zählgemeinschaft“ die Quintessenz dieser Rechtsnorm darstellt: „Gemeinsame Wahlvorschläge von mehreren Fraktionen gelten (…) als Wahlvorschläge einer Fraktion. (…) Eine Zählgemeinschaft ist in den Fällen zulässig, in denen sie nach Sitzen (…) stärker ist als die stärkste Fraktion, die nicht an ihr beteiligt ist“ (Rechtliche Hinweise für die Tätigkeit von Bezirksverordnetenversammlung und Bezirksamt der Senatsverwaltung für Inneres und Sport vom 14. Oktober 2011, berlin.de).

Festzuhalten bleibt demnach, dass die Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen in der BVV Tempelhof-Schöneberg formell berechtigt waren, gegen die stärkste politische Kraft (CDU) einen gemeinsamen Wahlvorschlag für Frau Schöttler (Zählgemeinschaft) einzubringen und durchzusetzen.

„Zählgemeinschaft“ ist eine „Augenblicksverabredung“

Bezirksverwaltungsrechtlich unbestritten ist, dass eine Zählgemeinschaft mit der Zielerreichung (er-folgreiche Wahl), dem alleinigen Zweck, erlischt. Gleiches gilt, wenn eine angestrebte Wahl dauerhaft misslingt. Dann tritt vielmehr die Rechtsfolge ein, dass das Wahlvorschlagsrecht an die stärkste Fraktion übergeht, es sei denn, es bildet sich eine neue Zählgemeinschaft (mit einer anderen Zusammensetzung oder zumindest für eine andere Kandidatur). Es ist zudem sachlich falsch, dass eine „Koalition“ zur Wahl einer Bezirksbürgermeisterin das Prinzip des „Kollegialorgans“, an dem alle relevanten politischen Kräfte in einem Bezirk beteiligt sein sollen, durchbrechen würde. Die Mehrheits- und Stärkeverhältnisse werden vielmehr dadurch beachtet, in dem der gemeinsame Wahlvorschlag auf die übrigen Wahlvorschläge entsprechend angerechnet wird. Insoweit schaffen Zählgemeinschaften auch nicht das bewährte (?) Zugriffsverfahren ab. Allein der erste Zugriff (also die erste Höchstzahl nach d`Hondt) darf durch den zweiten bis fünften Zugriff in Addition mit der Sitzzahl einer anderen Fraktion verschoben werden. Das regelmäßige Wahlvorschlagsrecht der stärksten Fraktion für die stellvertretende Bezirksbürgermeisterin ist bei der Bildung einer Zählgemeinschaft hingegen unangetastet.

„Höhepunkt“ der Vermischung von Information und Kommentar ist die Schlussfolgerung, die Zählgemeinschaft in Tempelhof-Schöneberg (und in allen übrigen Bezirken mit vergleichbaren Mehrheits- und Stärkeverhältnissen, z. B. in Lichtenberg durch SPD, CDU und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Linke) verzerre den Wählerwillen, weil eine Mehrheit einen „Rathauschef“ der stärksten Fraktion wollte. Nein, Wählerwille in diesem Bezirk war ausschließlich, der CDU und SPD jeweils zwei, Bündnis 90/Die Grünen einen Sitz (= Zugriff) für das fünfköpfige Bezirksamt zuzusprechen - und das unter Berücksichtigung der gesetzlich begründeten Option (nach § 35 Abs. 2 Satz 2 BezVG). Weiteren Mutmaßungen ist entschieden zu widersprechen.

„Zählgemeinschaft“ entspricht einer politischen Vereinbarung

Als professionell wirkender, den Bezirksverwaltungen und der Kommunalpolitik besonders verbundener Autor bin ich nicht blauäugig genug, die These aufzustellen, die Politisierung der Wahl der Bezirksbürgermeisterin sei allein als Schritt des Gesetzgebers anzusehen, die Grundsätze der Selbstverwaltung (Art. 66 Abs. 2 VvB) mit Leben zu erfüllen und dem „Bezirksorgan BVV“ eine organisationsrechtliche Ausgestaltungskompetenz zu übertragen. Hintergrund dieser gesetzlichen Änderung war vielmehr (auch) die politische Absicht (der damaligen Koalition von CDU und SPD im Abgeordnetenhaus), nach den Wahlen zur BVV am 22. Oktober 1995 entsprechende Bezirksbürgermeister/innen in den Bezirken zu verhindern, in denen die PDS bereits nach den Wahlen zur BVV am 24. Mai 1992 jeweils starke Fraktionen bildete (Friedrichshain, Hellersdorf, Hohenschönhausen, Lichtenberg, Marzahn und Mitte). Im Lichte der dortigen Wahlergebnisse „klappte“ das offensichtlich nicht… Ob nun die Politik dem Recht zu folgen hat oder es im Regelfall umgekehrt ist, kann zwar dahingestellt bleiben; für kommunalpolitische Prozesse im Rahmen der Konstituierung bildet die Möglichkeit, eine Zählgemeinschaft zu bilden, je-doch unbestritten einen erheblich weiterreichenden Anknüpfungspunkt, bestimmte organisations-rechtliche Fragen zu beantworten (z. B. Ausschussbildung, Geschäftsordnung) sowie sach- und/oder personenbezogene Vereinbarungen zu treffen. Hierfür existiert offenbar ein Bedarf.

Die rechnerische Begründung liegt auf der Hand. Ein sicherer Wahlerfolg bedarf der absoluten Mehrheit der Sitze (wenn auch mehr Ja- als Neinstimmen für die Wahl zum Bezirksamt reichen). Die erforderliche „potenzielle“ Zustimmung der politischen Kräfte, aus deren Reihen der Personalvorschlag nicht entstammt, entwickelt sich je-doch nicht „allein“, ist mithin kein Automatismus. Die personalpolitische Absprache wird insoweit mit anderen Gesichtspunkten verbunden. Das halte ich für politisch zulässig. Erfolgt eine Veröffentlichung, kann die interessierte Einwohnerschaft den transparenten Hintergrund bestimmter Positionen in kommunalpolitischen Sachfragen im Laufe einer Wahlperiode nachvollziehen.

Der Bedarf für interfraktionelle Verabredungen über den Augenblick der Wahl zum Bezirksamt hinaus erschließt sich darüber hinaus schon aus dem Umstand, dass solche „Zählgemeinschaftsvereinbarungen“ auch in Bezirken abgeschlossen werden, in denen die Bildung einer „Zählgemeinschaft“ nach dem Sinn und Zweck von § 35 Abs. 2 Satz 2 BezVG rechtswidrig ist, weil die stärkste Fraktion beteiligt ist. Da der Begriff im Gesetz nicht auftaucht, kann eine kommunalpolitische Absichtserklärung zwischen Fraktionen jedoch so genannt werden.

Zudem, das möge zur Kenntnis genommen werden, hat es bereits vor 1995 entsprechende Phänomene gegeben:

- Eine stärkste Fraktion ohne absolute Mehrheit in der BVV bedurfte zur Absicherung der Wahl „ihres“ Bezirksbürgermeisters weiterer Stimmen und traf insoweit Verabredungen mit anderen politischen Kräften. Sie mündeten jedoch mitunter in Kenntnis der damaligen Konstituierungsvorschriften für das Bezirksamt in der Drohung: „Wählst Du unseren Kandidaten jetzt nicht, wähle ich Deinen nie“;

- eine stärkste politische Kraft mit (mathematisch regelhafter) absoluter Mehrheit im Kollegialorgan verteilte die Ressorts im Bezirksamt (allein) nach ihren Vorstellungen (Stichwort „Beutepolitik“).

Früher war alles besser.

Heute ist zweifellos auch nicht alles Gold, das glänzt. Format, Tiefe und Ziele einer schriftlichen „Zählgemeinschaftsvereinbarung“, möglichst gebunden, „gebrieft und gesiegelt“ (und mit schwarz-rotem oder rot-grünem Schleifchen) und ein jeweiliger Bezug der aktuellen Beschlussfassung auf diese politische „Eheschließung auf Zeit“ in Prosa mögen dem abseits stehenden Beobachter mitunter skurril vorkommen; dafür habe ich großes Verständnis.

Peter Ottenberg

leitet das Büro der BVV Charlottenburg-Wilmersdorf und ist (neben-amtlich) Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft „Rat der Vorsteher/innen“ der Bezirksverordnetenversammlungen von Berlin


Anmerkung

Um einen der einleitenden Sätze von Peter Ottenberg aufzuklären, „…übrigens von den Adressaten zumindest in einer Fraktion nicht (mehr) gelesen wird,…“ folgender Hinweis: wir haben die komplette Grüne Fraktion Tempelhof-Schöneberg aus unseren Verteilern (E-Mail u. Print) nach den Vorgängen und Verhalten der Fraktion im Fall Säntisstraße genommen. Fraktionschef Oltmann hatte selbst schon vor längerer Zeit darum gebeten, ihn aus dem Verteiler und nehmen, und Stadtentwicklungsdezernentin Dr. Klotz folgte dem Ansinnen vor einigen Wochen, als sie immer stärker in die Kritik geriet. Ja, paperpress ist häufig unerträglich, und das ist natürlich gut so.

  
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