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sehr persönliche Erinnerungen an Dieter Hildebrandt

geschrieben von: Redaktion am 21.11.2013, 10:04 Uhr
paperpress499 
Für den großen Kreis der Fans von Dieter Hildebrandt wird der 20. November 2013 in Erinnerung bleiben als ein schwarzer Tag. Am Morgen erfuhr man von seiner Krebserkrankung, er werde nicht mehr auftreten, kündigte aber gleichzeitig an, kämpfen zu wollen. Und kaum hatte man diese Nachricht verarbeitet, folgte die von seinem Tod. Natürlich ist 86, wie man so sagt, ein „schönes“ Alter, aber keines, in dem man unbedingt sterben muss. Und ohne die Krankheit hätte Dieter Hildebrandt vermutlich noch mit 100 auf der Bühne gestanden und Intelligenteres in einem Zweistundprogramm erzählt, als es während einer ganzen Sitzungswoche im Bundestag zu vernehmen ist. Dass InfoRadio den ganzen Tag mit Freunden und Weggefährten sprach und Dieter Hildebrandt mehrfach selbst zu Wort kommen ließ, war eine sehr angemessene Programmänderungen, ebenso am Abend in der ARD. Manche hätten sich dann doch lieber nicht äußern sollen und so tun, als hätten sie Sympathie für ihn empfunden. In Wahrheit gab es nur zwei Seiten, Hildebrandts Anhänger und diejenigen, die ihn regelrecht hassten. Ein bisschen Hildebrandt gab es nicht.

Alles, was wichtig ist über Dieter Hildebrandt zu sagen, ist an seinem Todestag gesagt und geschrieben worden. Ja, er war der letzte der großen deutschen Kabarettisten, oft kopiert, nie erreicht. Die nachfolgenden Generationen haben eine Reihe von bemerkenswerten Kabarettisten hervorgebracht, deren Existenz uns etwas über den Verlust von Dieter Hildebrandt hinwegtröstet, aber eben nur etwas, denn Hildebrandt war eine eigene Marke, somit bleibt eine Lücke, die nie wieder gefüllt werden kann.

Wenn alles gesagt ist, was soll dann noch dieser Beitrag? Wer will, kann ihn ja lesen, ich schreibe ihn allerdings eher aus therapeutischen Gründen, um meine eigene Trauer zu verarbeiten. Vermutlich liegt es daran, dass meine Eltern CDU-Mitglieder waren und wir zu Hause sehr oft über Politik sprachen. Bundestagsdebatten im Fernsehen waren für mich spannender als Fernsehkrimis. Damals gab es ja noch Debatten, geführt von Leuten, die das konnten. Heute erleben wir eine Ansammlung von Laienschauspielern, die schon beim Ablesen ihrer Reden ins Straucheln kommen. Wann ist eigentlich die freie Rede im Bundestag abgeschafft worden?

Und so sehr mich Politik interessierte, entdeckte ich auch meine Begeisterung für das politische Kabarett. Wolfgang Neuss war einer meiner ersten großen Helden. Viele Male besuchte ich sein Programm „Das jüngste Gerücht“ im Domizil am Lützowplatz. Ebenso klein und eng war die „Ewige Lampe“, eigentlich nur eine Kneipe mit Mini-Bühne. Das Lokal existiert wohl heute noch in der Rankestraße 9. Dort setzten sich die Stachelschweine Wolfgang Gruner, Jo Herbst, Inge Wolffberg und Achim Strietzel, der so echt Willy Brandt imitieren konnte, mit der Politik auseinander. In einer anderen Stadt gab es auch eine Hausnummer 9, nämlich in der Ursulastraße. Dort hatte die Münchner Lach- und Schießgesellschaft ihr kleines Theater. Mein ganzes Taschengeld ging für die Besuche in der Ranke- und Ursulastraße drauf.

Der Umzug der Stachelschweine ins Europa-Center gefiel mir nicht sonderlich, weil dieses viel größere Theater mit einer breiten Bühne nicht mehr die intime Atmosphäre schuf wie zuvor in der „Ewigen Lampe“. Im Europa-Center lernte ich jedoch Dieter Hildebrandt persönlich kennen. Einmal im Jahr traten die Münchner in der Berliner Urania auf. Nach der Vorstellung ging ich mit einem Freund noch auf ein Bier ins Europa-Center und traf dort auf Dieter Hildebrandt, der das Theater der Stachelschweine suchte. Dies ahnend, sprach ich ihn an und führte ihn in das Un-tergeschoss des Hauses, wo, etwas versteckt, der Eingang liegt. Die Vorstellung dort war auch schon zu Ende, aber im Gefolge von Dieter Hildebrandt durften auch mein Freund und ich mit hinein. Es war ein spannender Abend, als sich Hildebrandt und Gruner unterhielten. Schade, dass es dieses Gespräch nicht ins reguläre Programm geschafft hat.

Von da an begegnete ich Dieter Hildebrandt viele Male. Und als es dann paperpress gab, mach-te ich auch immer wieder Interviews mit ihm. Das Foto entstand im Fernsehzentrum des SFB nach einer Scheibenwischer-Sendung, nach der wir noch ein Interview aufnahmen. Der Scheibenwischer war für mich Pflichtprogramm, und besonders schön war es, wenn ich im Studio dabei sein durfte. Die meisten Fototermine bei den Proben ließen wir auch nicht aus, wobei es dabei häufig auch zu sehr ruhigen, nachdenklichen Gesprächen kam. Vor allem Mitte der 80ger Jahre, als seine erste Frau unheilbar an Krebs erkrankte. In dieser schweren Zeit überhaupt aufzutreten und die Leute zum Lachen zu bringen, fiel ihm schwer. Als Irene im August 1985 starb, ahnte er nicht, dass ihn nur fünf Monate später ein weiterer Schicksalsschlag treffen würde. Sammy Drechsel, Kopf der Lach- und Schießgesellschaft und der Scheibenwischer-Regisseur starb im Januar 1986.

Nach der Scheibenwischer-Sendung trafen sich die ganze Crew und etliche Freunde immer im Preußischen Landwirtshaus am Olympiastadion. Die Abende dort, besser die Nächte, bleiben in Erinnerung. Einmal saß ich mit Werner Schneyder an einem Tisch. Der Mann hat Hände so groß wie eine Bratpfanne. Über irgendetwas aus dem politischen Alltagsgeschehen regte er sich auf und donnerte seine Pranke auf den Tisch. Nur mit Mühe konnten die anderen ihre Gläser am Umkippen hindern.

Während eines Abends fragte ich ihn, ob er denn nicht einmal Lust hätte, an einem Schulklassengespräch teilzunehmen. Manfred Rexin veranstaltete diese mit prominenten Zeitgenossen für den RIAS. Hildebrandt war einverstanden, der Termin stand fest, Januar 1986. Dann starb Sammy Drechsel, der Scheibenwischer fiel aus und das Projekt musste verschoben werden. Es dauerte dann bis zum 23. Mai 1986, als Hildebrandt die Gustav-Heinemann-Schule in Marienfelde besuchen konnte. Wir haben ihn in seinem Hotel am Funkturm, wo die ganze Crew stets wohnte, abgeholt und wieder zurückgebracht. Es war in jeder Hinsicht ein besonderer Tag: Verfassungs-tag der Bundesrepublik Deutschland. Und: Hildebrandts 59ster Geburtstag. Schulleiter Karl Pentzliehn hatte ein tolles Geschenk besorgt, nämlich eine Flasche Rotwein aus Hildebrandts Geburtsjahr 1927. Bemerkenswert: Dieter Hildebrandt verabredete sich mit Karl Pentzliehn zum Fußballspielen, und zwar in München. Ein Jahr später kam das Spiel mit Lehrern der GHO zustande.

Es gibt noch so viele Erinnerungen, die ich gern aufschreiben möchte. Dieter Hildebrandt, und das wird für mich unvergessen bleiben, war ein wirklich guter Mensch, der am Schicksal seiner Umgebung nicht nur Interesse zeigte, sondern auch hatte. Er war nie abgehoben, schnöselig oder arrogant wie so einiger seiner Kollegen. Ich bin sehr dankbar, dass es im September 2012 noch einmal die Gelegenheit zu einem kurzen Gespräch mit ihm gab. Im Schlosspark-Theater trat er in einer seiner unvergleichlichen Lesungen auf. Der erste Teil des Programms bestand häufig darin, anzukündigen, dass die Lesung gleich begönne. Zuvor müsse er aber noch auf diese und jene aktuelle Geschichte eingehen. Der Abend brachte mir eine ganz besondere Erkenntnis. Mich begleitete ein 29-jähriger Kollege und Freund, der zwar zuvor den Namen Dieter Hildebrandt schon mal gehört, aber keine Programme von ihm gesehen hatte. Seine Begeisterung über Hildebrandts Auftritt war immens. Hildebrandt erreichte also auch junge Leute, allerdings nur welche, die über ein gewisses Maß an Allgemeinbildung verfügen.

Nach der Vorstellung gingen wir in das vom Schlosspark-Theater gegenüberliegende italienische Restaurant. Der Zufall wollte es, dass Dieter Hildebrandt auch dorthin kam, um zu später Stunden noch eine Portion Spaghetti zu verspeisen. Wir hatten uns viele Jahre nicht gesehen und so ging ich auf ihn mit den Worten zu, „Du wirst Dich vielleicht nicht mehr an mich erinnern können, ich bin Ed Koch und wir haben früher viele Interviews für paperpress gemacht.“ Seine kleinen funkelnden Augen strahlten mich an, „Doch, gibt’s denn paperpress noch?“ Ich bin sehr dankbar, dass es noch einmal zu einer Begegnung mit ihm kam. Erlebt habe ich ihn noch einmal, natürlich erneut mit meinem Kollegen und neuen Hildebrandt-Fan, beim Politischen Aschermittwoch in diesem Jahr im Tempodrom. Wie so ein agiler, klar denkender und sprechender Mensch, von einem auf den anderen Tag sterben kann, will nicht in meinen Kopf.

Was bleibt, ist mal wieder nur die Erinnerung. Die Erinnerung an den letzten großen Kabarettisten dieses Landes und an einen liebenswürdigen Menschen, mit dem ich die große Ehre hatte, viele Male sprechen zu dürfen.

Ed Koch

  
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