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geschrieben von: Redaktion am 16.03.2015, 21:50 Uhr
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Die Zukunft des Berliner Gas- und Stromnetzes ist immer noch ungeklärt. Die Vergabe des Gasnetzes an die landeseigene Berlin Energie ist vorerst am Landgericht gescheitert. Jetzt liegt die Urteilsbegründung vor. Lorenz Maroldt, Chefredakteur des Tagesspiegels, sagt: „Falls es ihn noch interessiert, kann Ex-Senator Nußbaum jetzt in Ruhe nachlesen, was er bei der Gasnetzsache alles falsch gemacht hat – die Urteilsbegründung ist da: Eignung nicht nachgewiesen, Entscheidung nicht nachvollziehbar, fehlende Transparenz, Vergabe unzulässig usw. Einem Einser-Juristen wäre das nicht passiert.“
„Heiko Melzer, erster Parlamentarischer Geschäftsführer und wirtschaftspolitischer Sprecher der CDU-Fraktion, erklärt: „Die schriftliche Urteilsbegründung des Landgerichts zur Gas-Konzessionsvergabe bestätigt erwartungsgemäß die Ausrichtung des Urteilsspruchs, ist aber aufgrund der Anzahl, Deutlichkeit und Wucht der Kritikpunkte bemerkenswert. Das Gericht attestiert, dass sowohl das Vergabe-, als auch das Bewerbungsverfahren von den verantwortlichen Senatoren tendenziös und politisch ideologisch geführt worden ist. Das Landgericht rügt darüber hinaus eine Vielzahl von erheblichen juristischen Fehlern und die Intransparenz des Verfahrens. Ein deutlicher Eintrag ins Stammbuch der Senatsverwaltungen für Finanzen und Stadtentwicklung. Wir erwarten von den beiden betroffenen Senatsverwaltungen, nun endlich ein rechtssicheres, faires und diskriminierungsfreies Verfahren auf juristisch einwandfreier Grundlage sicherzustellen. Dazu passen politisch geführte Vergabevorgaben nicht.“
In einer von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung verbreiteten Erklärung von Berlin Energie heißt es: „Das Landgericht bemängelt in den Urteilsgrün-den, dass der Landesbetrieb Berlin Energie als Be-werber im Konzessionsverfahren zugelassen wurde. Dem Landesbetrieb Berlin Energie fehle die grundsätzlich erforderliche Rechtspersönlichkeit, jedenfalls aber die funktionale Eigenständigkeit. Das Gericht beanstandet eine unzureichende Trennung des Bewerbers „Berlin Energie“ von der Verwaltungs-struktur und sieht hierin selbst dann einen Interessenkonflikt, wenn – wie vorliegend - die Vergabestelle bei der Senatsverwaltung für Finanzen und der Landesbetrieb selber bei der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt angesiedelt sei. Aus Sicht von Berlin Energie kann die Argumentation des Gerichts nach erster Durchsicht nicht überzeugen.“ Nach der Gerichtsschelte folgt eine ausführliche Belehrung, warum sich das Gericht irrt und warum Berlin Energie und der Senat Recht haben.
Interview mit Nikolaus Karsten
Mitglied des Abgeordnetenhauses von Berlin seit 27. Oktober 2011. Mitglied im Sonderausschuss „Wasserverträge“, im Ausschuss für Stadtentwicklung und Umwelt, im Unterausschuss Beteiligungsmanagement und -controlling sowie in der Enquete-Kommission "Neue Energie für Berlin". Geboren 1969 in Hamburg, 1987 High School Ab-schluss in Kalifornien, 1989 Abitur, 1990 nach Prenzlauer Berg gezogen, um Technischen Umwelt-schutz an der TU Berlin zu studieren. 1991 Grün-dung der Jusos Prenzlauer Berg, 1994 Bürgerdeputierter im Stadtentwicklungsausschuss der BVV und Landesparteitagsdelegierter, seit 2002 in leitender Funktion bei einem Energiedienstleister, seit 2004 im Vorstand der Berliner Wirtschaftsgespräche e.V. und seit 2009 Mitglied der Arbeitsgruppe Rekommunalisierung der Berliner SPD.
Wir haben ihn gebeten, für das folgende Interview Überschriften zu formulieren. Hier seine Headlines:
Private Problembären oder 100% Berlin
Strom- und Gasnetze in Berliner Hand oder bei privaten Energiewende-Problembären-Konzernen, die Berlin als sichere Einnahmequelle brau-chen?
Hat Berlin die Kraft, auch die durch die Energie-wende gebeutelten Energiekonzerne zu konsolidieren?
paperpress:
Herr Karsten, wie bewerten Sie die Urteilsbegründung, die ja an Deutlichkeit kaum zu überbieten ist, da heißt es u.a., (Quelle Tagesspiegel) die Vergabeentscheidung zugunsten des landesei-genen Betriebs „Berlin Energie“ sei „unzulässig“, „Berlin Energie“ habe seine „Eignung“ nicht ausreichend nachgewiesen. Die grundlegenden Mängel des gesamten Vergabeverfahrens seien die „fehlen-de Transparenz der Vergabeentscheidung“ und die Bieterunfähigkeit von Berlin Energie und das Land-gericht rügt auch schriftlich die Bewertung nach einem vorliegenden Kriterienkatalog. Einige Ent-scheidungen zum Beispiel hinsichtlich des Kriteriums „Sicherheit des Netzbetriebs“ seien nicht nach-vollziehbar.
Nikolaus Karsten:
Ich frage mich, wie das Landgericht überhaupt zu einem Urteil kommen kann, wenn es das Angebot von Berlin Energie gar nicht kennt. Da gibt es zu viel Stille Post. Die Aufklärung der Genese und des gasagfreundlichen Vergabevermerks der Justizverwaltung und der Veröffentlichung im Tagesspiegel ist überfällig.
Von Anfang an war klar, dass es gerichtliche Auseinandersetzungen geben wird, weil es eben um sehr viel geht. Welcher private Konzern lässt sich kampf-los ein Strom- oder Gasnetzmonopol wegnehmen, das ihm langfristig sichere Einnahmen in die Kasse spült?
Das Urteil ist leider nicht klar. An der entscheiden-den Stelle sagt die Kammer, sie müsse nicht ent-scheiden, wie der Konflikt zu lösen sei, der sich durch die Doppelrolle des Landes Berlin als Vergabestelle und Bewerber ergibt. Klar wäre das Gericht gewesen, wenn es geurteilt hätte, dass Rekommunalisierung rechtlich nicht möglich ist.
Mir ist wichtig, dass Berlin Energie das beste Ange-bot abgegeben hat. Ich kenne das Angebot selbst auch nicht aber eins ist öffentlich bekannt geworden und wegweisend: kein anderer Bieter außer Berlin Energie bietet einen kombinierten Netzbetrieb. Dabei ist es doch naheliegend, dass durch die Kombination des Strom- und Gasnetzes Wettbewerbsvorteile entstehen. Insbesondere wenn wir in die Zukunft blicken. Das gilt für die Sicherheit des Netzbetriebs auch. Der Kombinierer hat Vorteile gegenüber den Wettbewerbern, die sagen, das haben wir schon über hundert Jahre so gemacht und da wird sich auch nichts ändern. Dafür ist Wettbewerb gut.
paperpress:
Nun ist die Rede von einem Kooperationsmodell zwischen dem Land Berlin und der Ga-sag AG, weil ein langwieriger Rechtsstreit weder im Interesse des Landes noch der drei Eigentümer der Gasag: Eon, Gaz de France und Vattenfall liegen dürfte. Der Finanzsenator nennt die Gespräche mit der Gasag über ein Kooperationsmodell ermutigend und die neue Gasag-Chefin Vera Gäde-Butzlaff spricht davon, dass ihr Angebot an das Land Berlin die „modernsten und kommunalfreundlichsten Konzessionsverträge, die es in Deutschland derzeit gibt“, seien. Ist das Kooperationsmodell, das offen-bar alle wollen, der Abschied von der Rekommunalisierung des Gasnetzes?
Nikolaus Karsten:
Dass offenbar alle ein Kooperationsmodell wollen, habe ich bisher nicht vernommen. Wenn es um Wettbewerbsbereiche ginge: kein Problem. Da wäre vielleicht sogar 100% privat besser. Aber die Netze sind Monopole. Berlin hat beim Wassermonopol mit RWE und Veolia schlechte Erfahrungen mit Kooperationen gemacht. Diese dürfen sich nicht wiederholen. Es geht um die Daseinsvor-sorge des Landes Berlin. Warum sollte Berlin den durch die Energiewende gebeutelten Konzernen die Netzmonopole als Einnahmequelle sichern. Kennen Sie das Schild: Wir müssen leider draußen bleiben, das vor dem Laden Hunden den Zugang verwehrt? Das gilt auch bei Monopolen der Daseinsvorsorge: Eon, Vattenfall und GdF müssen leider draußen bleiben. Wir privatisieren ja auch nicht die Straßen. Auch nicht zum Teil. Einige sagen, Berlin hätte nun mal verkauft und dann sei das ebenso. Für das Gas- und das Stromnetz trifft das nicht zu, weil die Kon-zessionen ausgelaufen sind. Und deswegen war es mir auch wichtig, dass Berlin Energie gemessen an den Vorgaben des § 1 Energiewirtschaftsgesetz das beste Angebot abgibt. Klar wird darüber gestritten.
paperpress:
Welche Auswirkungen hat die Gas-netzfrage auf das parallel laufende Verfahren zur Stromnetz-Konzession? Denn auch in diesem Verfahren tritt Berlin Energie in derselben Rechtsform, die das Landgericht rügt, als Bieterin auf.
Nikolaus Karsten: Der Fortschritt ist eine Schnecke. Alles was im Gasnetzverfahren durch das Gericht gerügt wurde, soll bestmöglich nachgebessert werden. Eine Nachbesserung im laufenden Verfahren kann aber wiederum Klagen nach sich ziehen. Wer versucht, alle Vorschriften peinlichst genau zu beachten, wird Stillstand produzieren. Und spätestens dann muss endlich beantwortet werden, was denn nun vorrangig ist: Das öffentliche Eigentum am Grund und Boden, das Selbstbestimmungsrecht der Kommune, das beste Angebot im Wettbewerb, die Daseinsvorsorge oder eben das Kleinklein, wie es im Gerichtsurteil nachzulesen ist. Wie z.B. auch die mir bisher unbekannte Schreibweise „Entschaftsregelung“ mit t auf S. 40.
paperpress:
Zum Schluss noch ein paar grundsätzliche Fragen zur Rekommunalisierung von Gas- und Stromnetz. Niemand wird bestreiten, dass es ein Fehler war, die Netze zu verkaufen, auch wenn die finanzielle Situation Berlins damals sehr angespannt war. Können wir als Berlin es uns aber jetzt leisten, die Netze zurückzukaufen? Nur um Eigentümer der Netze zu sein, ist ja ein bisschen wenig. Wir müssen ja auch kaufmännisch denken. Was bringt also Berlin der Rückkauf und vor allem, was bringt es den Endverbrauchern? Können sie kurz- oder eher langfristig auf günstigere Tarife hoffen?
Nikolaus Karsten:
Die Netze sind genau genommen ja nur zeitlich befristet verkauft worden. Denn die Netzkonzessionen sind ausgelaufen. Der Zeitpunkt des Einstiegs ist in zweierlei Hinsicht günstig. Nicht nur die Zinsen sind auf historischem Tiefststand sondern der Kaufpreis wird sich am Ertragswert orientieren. Und da der Ertrag der Netzmonopole mittels konzerninterner Leistungsverrechnung stets klein gerechnet wurde, ergibt sich auch ein günstiger Kaufpreis. Die Regulierung der Energiekonzerne funktioniert so gut wie bei den Banken. Der Regulator wird immer ausgetrickst. Das wirkt sich nun bei der Kaufpreisfindung gegen die Konzerne aus. Die Gasag hat die Begatec verkauft und Vattenfall versucht gerade, sich von seinem Netz-service zu trennen, um die Spuren der Leistungsverrechnung zu verwischen. Extrapoliert man die Kauf-preise, die Hamburg für die 100% Übernahme der Energieversorgung bezahlt hat, so kann auch Berlin den Kauf der Energienetze aus den Erlösen finanzieren, das gesamte Personal übernehmen, investieren und zeitnah eine Preissenkung für die Berline-rinnen und Berliner machen. Wie beim Wasserrück-kauf. Und dann beginnt der kombinierte Netzbetrieb ohne dass die Konzerne die Netzmonopole als sichere Einnahmequelle für ihr Geschäft außerhalb Berlins verwenden.
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