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geschrieben von: Redaktion am 23.03.2017, 13:36 Uhr
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Wo der neue SPD-Bundesvorsitzende und Kanzler-kandidat Martin Schulz dieser Tage auch auftaucht, die Mitglieder seiner Partei sind ganz aus dem Häuschen und jubeln ihrem neuen Frontmann zu. Warum, fragt man sich. Da kommt ein mittelgroßer Mann mit Bart, Brille, Glatze und O-Beinen auf die Bühne und lächelt. Der Gegenentwurf zu George Glooney. Schulz wirbt weder für Kaffee noch für Protzuhren, sondern für die SPD. Sie soll im Land wieder die Nummer Eins werden. Aber lediglich am 20.03. lag sie bei INSA einen Punkt vor der CDU/CSU, bei Forsa (22.03.) erreichte die Union 34 % und die SPD nur 31 %. Bis zum 24. September werden uns die Umfragen beschäftigen, abgerechnet wird aber erst um 18 Uhr am Wahlsonntag.
Der Rückzug von Sigmar Gabriel als SPD-Vorsitzender mit gleichzeitigem Verzicht auf die Kanzlerkandidatur wirkte wie ein Befreiungsschlag, was ich nicht nachvollziehen kann. Sigmar Gabriel war ein ganz hervorragender SPD-Chef. Seine Rede am 19. März, als Schulz mit 100 Prozent zum Parteichef gewählt wurde, war um einiges besser als die seines Nachfolgers. Und auch die Rede, die Michael Müller am 22. März vor rund 500 Neumitgliedern in Kreuzberg hielt, war emotionaler und mitreißender als das, was der Mann aus Würselen von sich gab.
Über 10.000 Neumitglieder kann die SPD bundesweit für sich verbuchen. Allein in Berlin traten rund 1.300, meist jüngere Menschen, in die SPD ein. Michael Müller begrüßte das 18.000ste Mitglied seiner Partei. So einen Schub gab es lange nicht. Die erfreuliche Situation für die SPD 2017 mit der von Willy Brandt Ende der 1960er Jahre zu vergleichen, ist dennoch unangemessen. Keinen Nachfolger vergleicht man mit Willy Brandt. Willy Brandt steht für sich allein, so wie in der Partei-zentrale, überlebensgroß.
Martin Schulz sagt in seinen Reden viele richtige Dinge. Die AfD sei eine Schande und keine Alternative für Deutschland. Er fordert mehr Respekt für die Menschen, die sich sozial engagieren. Man müsse die Alltagssorgen der Menschen ernst nehmen. Wir – die SPD – sind nicht die besseren Menschen, aber wir haben die besseren Ideen. Und immer wieder das Thema Gerechtigkeit. Er möchte, dass seine Tochter für gleiche Arbeit den gleichen Lohn erhält wie sein Sohn, und natürlich alle Frauen unseres Landes. Die Formel „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ ist nichts Neues. Und ich frage mich, warum sie nicht längst beantwortet wurde. Beispielsweise in den rund 20 Jahren, in denen die SPD die Bundeskanzler stellte. Warum soll zwischen 2017 und 2021 das gelingen, was zwischen 1969 und 1974 (Willy Brandt), 1974 und 1982 (Helmut Schmidt) und 1998 und 2005 (Gerhard Schröder) nicht gelang?
Höhepunkte in einer jeden Rede sind Zitate von be-rühmten Persönlichkeiten. Wie sagte doch…? beginnen diese Sätze. Martin Schulz wartete mit einem Zitat des dänischen Philosophen Søren Kierkegaard (1813-1855) auf. Leichtes Raunen ging nach der Ankündigung durch den Saal. Und dann der wirklich bemerkenswerte Satz: „Das Leben kann nur in der Schau nach rückwärts verstanden, aber nur in der Schau nach vorwärts gelebt werden.“ Und, wie wir wissen: „Dänen lügen nicht!“ (Zitat: Otto Waalkes *1948 Emden/Ostfriesland).
Getreu dem Kierkegaarder Satz verwendete Martin Schulz sehr viel Zeit für die Rückschau. Die Geschichte der SPD, 153 Jahre. Viele Helden. 1933 Ermächtigungsgesetz der Nazis. Otto Wels wider-sprach der Vorlage mit dem berühmten an Adolf Hitler gewandten Satz: „Wir sind wehrlos, wehrlos ist aber nicht ehrlos!“ Ein Blick in die Historie kann nie verkehrt sein, trotz AfD befinden wir uns heute aber nicht annähernd in einer Zeit, vergleichbar mit 1933. Natürlich muss man Rechtspopulisten gegenüber immer auf der Hut sein, weil sie die demokratischen Mittel nutzen, um die Demokratie einzuschränken, in den USA und der Türkei wird uns gerade vorgeführt, wie das gehen soll, wobei man sich mehr Sorgen um die Türkei als um die USA machen muss.
Martin Schulz ist stolz auf seine elf Jahre als Bürger-meister von Würselen. Erstaunt hat mich allerdings, dass er diese – sicherlich lehrreiche – Zeit als „Kommunalfuzzi“, wie er sich selbst bezeichnet, als zentralen Bewerbungspunkt um die Kanzlerschaft hervor-hebt. Einleuchtender wäre seine internationale Erfahrung als Präsident des Europäischen Parlaments. Diese dürfte für einen Kanzler wohl wichtiger sein, als die Verwaltung einer Kleinstadt, in deren Schatten, so Schulz scherzhaft, sich Aachen ganz gut entwickelt hat. Die kleinen Sorgen und Nöte der Menschen zu kennen, ist für einen Politiker wichtig. Im Kanzleramt geht es aber um einiges mehr.
Der 19. März war ein wichtiger Tag für die SPD. Frank-Walter Steinmeier trat seinen Dienst als dritter sozialdemokratischer Bundespräsident an. Dass dies gelang, hat die SPD keinem anderen als Sigmar Gabriel zu verdanken. Und auch schon bei der Nominierung und Wahl von Joachim Gauck hatte Gabriel seine Hände im Spiel. Martin Schulz zum Kanzlerkandidaten zu machen, ist ein weiterer gelungener Schachzug von Gabriel. Die Reaktion darauf gibt ihm Recht.
Einen großen Erfolg kann die SPD schon jetzt verbuchen. Die Union bekommt es mit der Angst zu tun. Sogar Markus Söder gibt zu bedenken, dass Schulz kein Strohfeuer sei und die Union handeln müsse. Wir werden wohl einen der längsten Wahlkämpfe aller Zeiten zu ertragen haben.
Ed Koch
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