Hauptmenü
Online
Es sind 10 Besucher und 0 _MEMBER0 online..
Anmeldung
Sprachen
|
|
geschrieben von: Redaktion am 22.04.2017, 06:51 Uhr
paperpress541
|
Im Nahen Osten hat mit dem Schwerpunkt Syrien und Irak ein nun schon über ein halbes Jahrzehnt währender Viel-frontenkrieg zur größten humanitären Katastrophe in der jüngeren Geschichte dieser Region geführt, zu der auch der größte Flüchtlingsexodus seit dem Zweiten Weltkrieg gehört. Ein Ende der bewaffneten Konflikte, die Hundertausende das Leben kostete, Millionen zu Flüchtlingen werden ließ und einen uralten Kulturraum der Menschen zerstörten, ist nicht absehbar; zumal mit der Türkei, dem Iran und Saudi-Arabien auch alle Regionalmächte mit ihren ethnischen (Türken vs Kurden) und innerislamisch-religiösen (Sunniter vs Schiiten) Konflikten beteiligt sind.
Zu den Kombattanten dieses Krieges zählen auch diverse Kämpfer des islamischen Terrorismus, insbesondere Djiha-disten der al-Qaida in Syrien und des aus der al-Qaida im Irak entstandenen „Islamischen Staates“ (IS). Im „Kalifat“ genannten Herrschaftsgebiet des letzteren entstand in nur wenigen Jahren ein djihadistisches Machtzentrum, das realpolitisch die multi-ethnische und multi-konfessionelle Staatenwelt des Nahen Ostens bedroht, die arabisch-islamische Welt in ihrem religiösen Selbstverständnis er-schüttert und seinen „Heiligen“ Glaubenskrieg (Djihad) mit ungezählten Terrortaten in alle Welt trägt. Vor diesem Hin-tergrund hat eben diese Welt dem Kalifat/IS den Krieg er-klärt, in dem sowohl eine von den USA geführte Anti-IS-Allianz als auch Russland involviert sind.
Vor einem guten Jahr warte der Bundesnachrichtendienst (BND) eindringlich vor dieser „großen Bedrohung durch den islamistischen Terrorismus“. Die Lage, so die Analyse des Dienstes Anfang 2016, sei „für die westliche Staatengemeinschaft heute ungleich gefährlicher“ als 2001, dem Jahr der 9/11-Terroranschläge der al-Qaida in den USA. Die „Zone der Instabilität“, so der BND, sei vom Hindukusch in die unmittelbare Nachbarschaft Europas vorgerückt, was uns nicht zuletzt seit 2015 Terroranschläge mit IS-Hintergrund in Paris, Brüssel, Nizza, Berlin, Istanbul und London dramatisch vor Augen führten. Terroraktionen wer-den heute mit selbst für jedermann zugänglichen Mordmitteln begangen, vom Küchenmesser bis zum Auto. Und die Täter werden immer jünger, selbst Kinder werden zum Terror angehalten. Wie konnte es zu diesen Entwicklungen kommen? Welche Gefahrenpotenziale bedrohen unsere Zivilgesellschaft? Auf welche Anschläge müssen wir uns einstellen? Womit müssen wir rechnen?
Um Antworten auf diese und weitere Fragen bat paperpress den Terrorismusexperten Berndt Georg Thamm (70), der uns schon einmal vor Jahren ein Interview zu diesem The-ma gab. (paperpress Nr. 445 – Mai 2009 – 34. Jahrgang – Terrorismus „Wir stehen erst am Anfang)
http://www.paperpress.org/index.php?name=News&file=article&sid=859
Damals, im Mai 2009, sagte er, dass der weltweit operierende (militant islamistische) Terrorismus uns nur in Ausläufern berührt hatte und dem wir bis dahin mit viel Glück entgangen waren. Aber das Glück ist keine verlässliche Größe, merkte er an. Der Terroranschlag in Berlin am 19. Dezember 2016 auf dem Weihnachtsmarkt an der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche gab seiner Einschätzung Recht. Schon seinerzeit war er davon überzeugt, dass wir erst am Anfang der Auseinandersetzung mit einem Gegner stehen würden, dem unsere Demokratie und Lebensart nichts bedeuten, die es mit allen Mitteln zu bekämpfen galt. Mittlerweile befinden wir uns wohl inmitten dieser Auseinandersetzung, die – so der Experte – noch schlimmer werden könnte. Mit Berndt Georg Thamm sprach acht Jahre nach dem ersten Inter-view zu diesem Thema wieder Ed Koch.
paperpress: Seit Ihrem letzten Interview zum Thema Terrorgefahren sind acht Jahre ins Land gegangen. Hat es in dieser Zeit ein gravierendes, bis ins Heute hineinwirkendes Ereignis gegeben?
Berndt Georg Thamm: Ja! Unser Interview lag gerade zwei Jahre zurück, da wurde in der Nach vom 1. auf den 2. Mai 2011 in Abbottabad/Pakistan in der US-Operation „Neptun Spear“ der al-Qaida-Begründer und Führer Osama Bin Laden (1957-2011) von einem US-Navy Seal Team getötet. Codewort des Vollzugs war „Geronimo“. Seit den 9/11-Anschlägen, dem schlimmsten Angriff auf US-Territorium seit Pearl Harbor 1941, war Bin Laden „Staatsfeind Nummer Eins“ der USA, auf dessen Ergreifung schon früh 25 Millionen Dollar Belohnung ausgesetzt waren. Fast zehn Jahre konnte sich Bin Laden verstecken. Mit seinem Tod fand die längste und teuerste Menschenjagd der Ge-schichte ihr Ende. Der Bin Laden-Biograph Peter L. Bergen schrieb dazu 2012:
„Beim Krieg gegen den Terror ging es nicht zuletzt darum, Bin Laden der Gerechtigkeit zuzuführen, daher ist der Gedanke ernüchternd, dass die amerikanischen Geheimdienste eine halbe Billion Dollar benötigten, um dieses Ziel zu verwirklichen“. Für die USA wurde mit dem Tod des terroristischen „Hochwertzielt“ Bin Laden der „größte Massenmord der amerikanischen Geschichte“ gesühnt. Für seine islamistischen Anhänger, die Bin Laden im Internet als „Iman des Jahrhunderts“ priesen, war er schon zu Lebzeiten ein Mythos, der sich vom Militärführer hin zur ideologischen und religiösen Inspirationsquelle, zum Spiritus Rector des globa-len Djihad gewandelt hatte. Über 15 Jahre hatte er als „arabischer Che Guevara“ der Weltmacht USA erfolgreich die Stirn geboten. Und eben in seinem Todesjahr hatte eine bis heute nicht beendete Bewegung in der arabisch-islamischen Staatenwelt, die bis dahin als stabil galt, ange-fangen.
paperpress: Sie meinen die Bewegung des „Arabischen Frühlings“?
Berndt Georg Thamm: Die Bewegung entstand am 17. Dezember 2010 in Tunesien, wo sich ein Gemüsehändler und Familienvater in wirtschaftlicher Not vor einem öffentlichen Gebäude einer Kleinstadt aus Protest verbrannte. Mit seinem Tod säte er quasi revolutionären Wind, der zum „Sturm der Arabellion“ wurde. Nach den Massenprotesten in Tunesien kam es 2011 in einem „arabischen Frühling“ zu Protesten für Freiheit und Brot in fast allen Ländern Nordafrikas und des Nahen Ostens: im Januar in Algerien, Jordanien, Ägypten (hier musste der Präsident Mohammed Hosni Mubarak zurücktreten), Jemen (hier musste der Diktator Ali Abdullah Saleh zurücktreten, in der Folge bis heute Bürger-krieg), Saudi-Arabien und Sudan; im Februar in Bahrain, Libyen (wir wurde Muammar al-Gaddafi am 20. Oktober getötet; bis heute Bürgerkrieg), Oman und Dschibuti, Kuwait, Marokko, Irak, Mauretanien und Libanon. Nach den palästinensischen Gebieten hatte die Arabellion Mitte März auch Syrien erreicht. Aus dem Aufstand gegen das autoritäre Regime Baschar al-Assads erwuchs ein bis heute währender Bürgerkrieg. In eben jenem Jahr 2011 wurden nicht nur die Weichen für eine Änderung der nahöstlichen Geo-politik gestellt, sondern auch in Sachen Terrorismus.
paperpress: Was hat denn die Arabellion mit Änderungen im Terrorismusgeschehen zu tun?
Berndt Georg Thamm: Nun, es traten neue Akteure auf uns das terroristische Geschehen wurde um eine neue Strategie verändert. Die al-Qaida-Bewegung hatte schon zu Lebzeiten ihres Begründers, insbesondere aber nach seinem Tod durch Transformationen viele Gesichter bekommen, bis hin zum aus der al-Qaida im Irak (AQI) erwachse-nen IS, dessen Akteure und Taten zum Synonym für men-schenverachtende terroristische Gewalt geworden sind. Der Beginn der Arabellion war zugleich auch der Beginn einer neuen Strategie der Djihadterroristen. Seit den Anschlägen des 9/11 war ein Jahrzehnt ins Land gegangen und es war für Akteure der Qaida-Bewegung immer schwieriger geworden, große und zeitaufwändige (von der Planung bis zur Tatbegehung) Terroranschläge zu begehen. So änderte man die Vorgehensweise, wechselte zur „Strategie der Zerstörung durch jedermann“. Mit dieser neuen „Strategie des individuellen Djihad“, so die Überlegung, sollte insbe-sondere der Westen in eine Art des permanenten Alarmzustandes durch eben einfachste Terrorattacken von Einzel-personen geführt werden. Nach Anschlägen mit hohem Organisationsgrad wurde nun auf niedrigschwellige An-schläge gesetzt. Zu derartigen „einfachen“ Mordtaten rief der IS-Sprecher Mitte September 2014 auf: „Tötet sie, wie ihr wollt. Zertrümmert ihnen den Kopf, schlachtet sie mit dem Messer, überfahrt sie mit dem Auto, werft sie von einem hohen Gebäude, erwürgt oder vergiftet sie“. Terroraktionen mit Sturmgewehren und Explosivstoffen setzen Kenntnisse, ja Beschulungen voraus. Dies war bei den neuen Tatwaffen, ob ein Auto oder ein ordinäres Messer, nicht mehr notwendig.
paperpress: Damit erklären Sie indirekt die durch die Ara-bellion ausgelösten Bürgerkriege zu Brandbeschleunigern djihadterroristischer Gewalt.
Berndt Georg Thamm: So ist es. Im ersten Kriegsjahr war der Bürgerkrieg in Syrien wohl noch kein Glaubenskrieg. Weder führten Muslime, Christen und Drusen einen Konfessionskrieg um wahre religiöse Identitäten, noch waren Araber, Kurden, Turkmenen und andere kleinere Völker in multiethnische Kämpfe verstrickt. Im Schwerpunkt war es am Anfang noch ein Krieg zwischen dem Assad-Regime und denen, die von diesem Machthaber unterdrückt wur-den, sich zu unabhängigen Bürgermilizen wie der Freien Syrischen Armee (FSA) und anderen Bündnissen zusammenschlossen. Als quasi dritte Gruppierung traten dann zunehmend Kräfte auf, die Syrien „im Namen Gottes“ verteidigten – die einen „Verteidigungsdjihad“ mit dem Ziel führten, auf syrischem Boden einen Gottesstaat zu errichten.
Ein knappes Jahr nach dem Rebellionsbeginn in Syrien hatte Osama Bin Ladens Nachfolger, der Ägypter Aiman al-Zawahiri, am 11. Februar 2012 die Muslime im Irak, in Jordanien, im Libanon und in der Türkei aufgerufen, das As-sad-Regime zu bekämpfen. Mit Syrien hätte die Qaida-Bewegung eine neue Operationsbasis – mit Zugang zum Mittelmeer und ganz in der Nähe Israels. Syrien könne, so seinerzeit al-Zawahiri, zum „Sprungbrett zur Eroberung Jerusalems“ werden. Davon fühlte sich insbesondere eine kurz zuvor entstandene Bewegung syrischer Djihadisten angesprochen, die sich – mit Hilfe irakischer Qaida-Sympathisanten – als „Unterstützerfront“ (Dschabhat al-Nusra) des syrischen Volkes sah. Sie sollte sich später von der al-Qaida trennen und im Juli 2016 in „Front für die Eroberung Großsyriens“ (Dschabhat Fatah al Sham) umbenennen. Kampfziel der al-Nusra-Front war die Errichtung eines islamischen Staates in Syrien nach frühislamischem (salafistischen) Regelwerk. Was ganz im Sinne des Qaida-Führers Zawahiri war, der Anfang April 2013 in einer von islamistischen Websites verbreiteten Audio-Botschaft die Aufständischen in Syrien zur Errichtung eben dieses Islamischen Staates mit den Worten ausrief: „Führt euren Kampf im Namen Allahs und mit dem Ziel der Schaffung von Allahs Scharia als herrschendes System“.
Mit dem Kampf und dem Kampfziel der syrischen al-Nusra sahen sich auch die Kämpfer des Islamischen Staates im Irak (ISI) verbunden, die schon im Januar 2012 nach Syrien gekommen waren. Ihr Führer hatte mit der Schaffung eines Kalifats in der Levante ein noch größeres Ziel. Dem ordnete er alles unter, auch die eigenständige al Nusra, was 2014 zur Konfontation mit der fernen Qaida-Führung führte. Im Juni 2014 begannen die ISIL-Djihadisten mit ihrem Feldzug in Mesopotamien/Irak. In einer Blitzoffensive nahmen 800 von ihnen die Millionenmetropole Mossul ein, vertrieben 30.000 (!) Regierungssoldaten und proklamierten hier am 29. Juni (Ramadan 1435) ihr neues Kalifat. Von dieser irakisch-syrischen Keimzelle sollten, so al-Baghdasi als neuer Kalif Ibrahim, in der Folge alle nationalen Grenzen vom Mittelmeer bis zum Persischen Golf ausgelöscht wer-den. Endziel war und ist bis heute ein Kalifat globalen Aus-maßes. Die territoriale Entgrenzung dieser geographischen Utopie führte zu einem Namen ohne jeglichen Länderbezug – eben zum „Islamischen Staat“ (ad-Daula al-islamiya).
paperpress: Die islamistischen Terrormilizen haben über Jahre ihre Namen gewechselt – AQI, ISI, ISIS, ISIL, IS oder auch Daesch. Gab es dafür Gründe und können Sie in unsere Begriffsverwirrung Ordnung bringen?
Berndt Georg Thamm: Die Begriffsverwirrung hat mit dem dritten Golfkrieg, dem Krieg im Irak (2003-2020/11) zu tun, der vor gut 14 Jahren mit der US-geführten Koalitionsoffen-sive „Operation Iraqi Freedom“ (OIF) gegen Saddam Hussein (1937-2006) am 20. März 2003 begann. Schon vor Beginn der Kampfhandlungen hatte Bin Laden im Februar seine Qaida-Djihadisten in einer Botschaft zur Unterstützung des irakischen Volkes aufgerufen. Sein Gefolgsmann, der palästinensische Jordanier Abu Mussab al-Zarqawi (1966-2006), beteiligte sich am Widerstand gegen die „un-gläubigen Besatzer“ mit seiner Gruppe „Einheit und Heiliger Krieg“ (al-Tawhid wa al-Jihad) ab dem ersten Kriegsjahr. Am 17. Oktober 2004 erneuerte Zarqawi seinen Treue-schwur gegenüber Bin Laden und nannte in Verbundenheit seine Gruppe in „Basis des Heiligen Krieges im Land der zwei Ströme“ (al-Qaida al-Jihad fi Bilad al-Rafidain) um. Der al-Qaida-Führer erkannte 2005 Zarqawis Gruppe an, die in der Folge als „al-Qaida im Irak“ (AQI) Terrorgeschichte schrieb. Ihren Führer (Emir) erklärte Bin Laden zu seinem Stellvertreter im Irak. AQI wurde so zur djihaditischen Urzel-le des heutigen IS. Als Emir Zarqawi im Juni 2006 getötet wurde, benannte sein Nachfolger Abu Ajub al-Masri nur vier Monate später die Terrorgruppe in „Islamischer Staat im Irak“ (ISI) um. Nach seinem Tode im April 2010 übernahm den ISI Abu Bakr al-Baghdadi.
In jenem Jahr erklärte US-Präsident Obama am 31. August die OIF für beendet. Ein halbes Jahr später kam es Mitte März 2011 im Nachbarstaat Syrien zu ersten Aufständen, die in wenigen Monaten zum Bürgerkrieg eskalierten. In diesen griff auch vom Irak aus der ISI-Warlord Baghdadi ein, erklärte gar die dort agierende syrische al-Nusra im April 2013 zu einem Teil seines ISI. Der neuen Zwangsver-einigung gab er den Namen „Islamischer Staat im Irak und in Syrien“ (ISIS). Da Baghdadi kompromisslos für einen Gottesstaat kämpfte, der nicht nur den Irak und Syrien, sondern darüber hinaus auch den Libanon, Israel und Jor-danien umfassen sollte – eben die ganze Levante – gab er nun den Begriff „Islamischer Staat im Irak und der Levante“ (ISIL), auf Arabisch „ad daula al islamiya fil iraq wa sham“, kurz „Da’isch“ genannt. Bei diesem Kürzel stehen die Buchstaben „d“ für daula (Staat), „a“ für al-islamiya, „i“ für Irak und „sh“ für sham, was im Arabischen für die Levante steht, zu denen Syrien, Libanon, Jordanien, Palästina und Teile des Irak gezählt werden. Zur provisorischen Haupt-stadt der von ISIL kontrollierten Gebiete wurde die syrische Provinzhauptstadt Raqqa, deren Rückeroberung im No-vember letzten Jahres begann. Die Offensive in Mesopota-mien 2014 hatte eigentlich die Eroberung Bagdads zum Ziel, die dann Hauptstadt im zuvor in Mossul ausgerufenen Kalifat, dem „Islamistischen Staat“ (IS) geworden wäre – von den arabischen Medien kurz „daula“ (Staat) genannt, dieses jedoch im Kontext des vollen Namens der Terrormi-liz.
paperpress: Nach dieser Darstellung ist der IS aus der al-Qaida hervorgegangen, oder hatte zumindest mit der al-Qaida zu tun. Arbeiten denn IS und al-Qaida zusammen, oder als Terrorkonkurrenten gegeneinander?
Berndt Georg Thamm: Der Ende Juni 2014 gegründete „neue“ IS ist aus der „alten“ al-Qaida, die zum Ende des Afghanistankrieges (1979-89) 1988 begründet wurde, her-vorgegangen. Ob unterschiedlicher Vorstellungen über die „Feinde des Islam“, zu denen der IS und seine Vorläufer insbesondere die „schiitischen Schlangen“ als Glaubensabtrünnige zählten, überwarf sich Bin Ladens Emir im Irak Zarqawi 2005 mit der al-Qaida-Führung. Dessen „Krieg gegen die Schiiten“ setzte fünf Jahre später sein Nachfolger al-Baghdadi fort, der sich Anfang Februar 2014 - wie einst sein Vorvorgänger - ebenfalls mit der Qaida-Führung überwarf.
Worin unterscheiden sich nun die Terrorkonkurrenten? Laut al-Qaida-Begründer Bin Laden soll eine sunnitisch-schiitische Einheitsfront gegen den internationalen Unglauben (al-Kufre al-Alami) mit dem Ziel kämpfen, nach gewonnener Endschlacht ein globales Kalifat zu errichten. Laut IS-Vordenker al-Zarqawi kämpft eine rein sunnitische Front nicht nur gegen den internationalen Unglauben, sondern auch gegen Glaubensabtrünnige (Schiiten) und Glaubens-verfälscher (z.B. Yesiden) vom nahöstlichen Territorium des am 29. Juni 2014 proklamierten „neuen“ Kalifat für den neuen sunnitischen Menschen“ aus mit dem Ziel, dieses um territoriale Zugewinne in der Levante und weiteren Gebieten des Islam (dar al-Islam) zu vergrößern und auszubauen. Die einzige Gemeinsamkeit ist die, dass sowohl im zu gründenden Kalifat der Qaida als auch in der Territorialer-weiterung des schon gegründeten Kalifats/IS die Existenz Israels nicht vorgesehen ist, wohl aber die der Heiligen Stadt Jerusalem (al-Quds) - diese „natürlich judenfrei“.
paperpress: Ist diese Konkurrenz für immer und ewig ge-geben? Oder gibt es Ausnahmen? Hat es vielleicht sogar schon eine Zusammenarbeit der eigentlich verfeindeten Konkurrenten gegeben?
Berndt Georg Thamm: Die erste Ausnahme im Kampf um die Leadership im globalen Djihad scheint der Anschlag in Frankreich gewesen zu sein, wo drei Djihadisten im Groß-raum Paris vom 7. bis 9. Januar 2015 Mordanschläge auf französische Juden und „Kreuzfahrer“ verübten, insgesamt 17 Menschen (14 Zivilisten, darunter vier jüdische Bürger und drei Polizisten) töteten. Zwei der Täter, die das Redak-tionsgebäude der Zeitschrift „Charlie-Hebdo“ stürmten, hatten sich djihadistisch zur al-Qaida auf der arabischen Halbinsel (AQAH), ein Täter (der den jüdischen Supermarkt „Hyper Cacher“ überfiel) zum IS bekannt. Seine Aktion, so der letztere, wäre mit den Charlie-Hebdo-Angreifern abge-stimmt gewesen. Seither beschäftigt mich die Frage: was wäre, wenn sich die Terror-Konkurrenten nicht mehr ge-genseitig bekämpfen, sondern im Djihad gegen den Internationalen Unglauben zusammenfinden würden?
paperpress: Sie betonen immer wieder den Begriff des Kalifats. Ist der denn so wichtig? Unterschätzen wir viel-leicht dessen Bedeutung, die er wohl insbesondere für gläubige Muslime hat?
Berndt Georg Thamm: Im Islam war und ist der Kalif der Nachfolger des Propheten Mohammed und damit der „Stellvertreter des Gesandten Gottes“. Mit ihm wurde eine islamische Regierungsform, eben das Kalifat, dargestellt, in der die weltliche und geistliche Führerschaft in der Person des Kalifen vereint war. Ein theokratisches Modell, das bereits zu Lebzeiten Mohammeds in dessen Staat Medina praktiziert wurde.
Das letzte Großreich in der Geschichte des Islam war das Osmanische Reich (1299-1922), dessen Herrscher (arab. Sultan) in Personalunion auch Kalif war. „Der Sultan in seiner Eigenschaft als Kalif ist der Schutzherr für die mus-limische Religion“, hieß es noch in der 1878 verabschiedeten Verfassung des Osmanischen Reiches. Selbiges hatte nach dem Ersten Weltkrieg (hier als Bündnispartner des Kaiserreiches Deutschland) aufgehört zu existieren. Das Erbe trat die 1923 gegründete Republik Türkei an, deren Präsident Mustafa Kemal (1881–1938), Atatürk („Vater aller Türken“) genannt, eine laizistische Ordnung vorsah. Schon am 1. November 1922 war das über 500 Jahre bestehende Sultanat abgeschafft worden; nun wurde am 3. März 1924 auch das Kalifat (nach über 400 Jahren) per Gesetz abgeschafft. Mit der Absetzung des letzten osmanischen Kalifen wurde schlussendlich die jahrhundertealte Personalunion von Sultan und Kalif beendet. Die Abschaffung dieser Ordnung löste in der gesamten islamischen Welt einen regel-rechten Schock aus, dessen Dramatik in der nichtislamischen Welt völlig unterschätzt wurde.
Seither gab es immer wieder Bestrebungen, das Kalifat wieder zu beleben, um damit „den Unerträglichkeiten und Demütigungen für Muslime ein Ende zu bereiten“. Die alte islamische Ordnung neu zu etablieren war (und ist) Ziel der 1928 von Hassan al-Banna (1905-1949) in Ägypten ge-gründeten „Gesellschaft der Muslimbrüder“, aber auch der von dieser sich 1953 in Jordanien/Ostjerusalem abgespaltenen „Partei der Islamischen Befreiung“ (Hizb ut-Tahrir) und nicht zuletzt der von Osama Bin Laden 1988 am Hindukusch gegründeten al-Qaida. So schockiert die Welt des Islam 1924 über die Abschaffung des Kalifats war, so er-staunt war sie nun neunzig Jahre später, als 2014 das Kalifat, ein neues Kalifat wieder ausgerufen wurde - und das mitten im Krieg in Mesopotamien von „Gotteskriegern des ISIL“. Eine Proklamation wie Donnerhall.
paperpress: Was bewirkte denn die Proklamation des neuen Kalifats? Was hatte denn der neue Kalif für seine Unterstützer im Angebot?
Berndt Georg Thamm: Kurz nach der Proklamation im heute umkämpften Mossul wandte sich der IS-Warlord al-Baghdadi als Kalif Ibrahim in einer mehrsprachigen (Arabisch, Englisch, Russisch, Französisch und Deutsch) Audiobotschaft an die Weltgemeinschaft der Muslime (umma) mit den Worten: „Muslime, eilt in euren Staat ... Das ist mein Rat für euch. Wenn ihr ihm folgt, werdet ihr Rom erobern und Herren der Welt werden durch den Willen Allahs“. Und sie kamen - zu zig Tausenden aus aller Herren Länder.
Zusätzlich hatte der klerikal-faschistische IS eine regelrechte Sogwirkung auf radikal-islamistischen Strömungen in aller Welt, die sich in der Folge dem IS anschlossen. Beispielsweise die auf Geiselnahmen spezialisierte Philippinische Gruppe „Abu-Sayyaf“ (Vater des Schwertes), die im November einen 70-jährigen deutschen Segler in ihre Ge-walt brachte und nach Ablauf einer Lösegeldforderung Ende Februar 2017 ermordete.
paperpress: Was ist denn wirklich neu an diesem neuen Kalifat? Und warum sprechen Sie von einem IS mit klerikal-faschistischen Strukturen?
Berndt Georg Thamm: Das in Mossul proklamierte neue Kalifat stellt sich als Islamischen Staat für alle sunnitischen Muslime dar. Zur vormodernen Weltsicht dieses „Gottes-staates“ gehört dessen religiös-politische Lehre, einen neu-en sunnitisch-islamischen Menschen zu schaffen. Ein Lehr-plan-Büro gibt/gab die dementsprechenden Bildungsinhalte (Scharia-Wissenschaft) vor, was das IS-Bildungsministerium („Diwan des Wissens") im (immer kleiner werdenden) Kalifatsgebiet umzusetzen sucht. Die aufgebaute autoritär-staatliche Herrschaft des Kalifen darf wohl als klerikal-faschistisch bezeichnet werden, sucht man doch im totalitä-ren IS das Denken einer jungen Muslimgeneration möglichst früh zu beeinflussen. In militärischen Ausbildungsla-gern versuchen IS-Erzieher eine quasi neue Djihadistengeneration „vom Tag der Geburt an“ mit dem Ziel zu formen, sie zu noch besseren Kämpfern zu sozialisieren.
Nach einer Studie der Georgia State University in Atlanta/USA 2016, „mobilisiert der IS Kinder und Jugendliche in einem wachsenden und beispiellosen Maße. Systematisch werden Minderjährige als Selbstmordattentäter eingesetzt. „Löwenjungen des Kalifats“ nennt der IS seine Kindersoldaten.
paperpress: Für welche Art Staat kämpfen und sterben diese Kindersoldaten? Und die erwachsenen Kalifats-Djihadisten? Und die ausländischen Freiwilligen?
Berndt Georg Thamm: Sie kämpfen und sterben (den „Märtyrertod") für einen Islamischen Staat, der nicht allen Muslimen offensteht. Er steht eigentlich nur denen offen, die in das religiös-ideologische Weltbild des IS passen. Ausgeschlossen sind alle Spielarten des Islam, die sich nach dem Tode Mohammeds 632 und der damit in der Folge entstandenen ersten Spaltung (Schia) über zig Jahr-hunderte entwickelten. So zählt die IS-Theologie die Schiiten und daraus erwachsene Bewegungen (z.B. Alawiten) zu todeswürdigen „Glaubensabtrünnigen“, Untergruppen des sunnitischen Islam (z.B. Yesiden) zu den „Glaubensverfälschern“. Doch auch Gläubige anderer Religionen, Buchreligionen wie Juden und Christen, sind im Kalifat „nicht er-wünscht“. Vor diesem Hintergrund sind bis heute die mit Abstand meisten Opfer des IS Muslime.
Zusammengefasst: Ungläubige, Andersgläubige und Andersdenkende sind zu bekämpfende „Feinde des Islam“. Dementsprechend ist an nicht zu schonenden Feinden begangene Grausamkeit (Enthauptungen, Kreuzigungen, Verbrennungen, Leichenverstümmelungen) zum überlegten Kalkül, gar zum Bestandteil der IS-Propaganda geworden.
Zur psychologischen Kriegsführung des IS gehört auch die „Strategie der kulturellen Säuberungen“, die Zerstörung vor- und nichtislamischer Kulturgüter/-stätten des Alten Orients - von Ninive im Irak bis Palmyra in Syrien.
paperpress: Wer so handelt, ist ein Kriegsverbrecher; und gegen diesen müsste gemäß dem (seit 1945 gültigen) Völkerrecht ein weltweiter Kampf geführt werden. Das Selbst-bild der Kriegsverbrecher scheint aber ein völlig anderes zu sein. Sie sehen sich weniger als Verbrecher gegen die Menschlichkeit, sondern mehr als „Retter der muslimischen Welt"? Ist das ihre „Mission"?
Berndt Georg Thamm: Der IS scheint die muslimische Gemeinschaft des Kalifats als eine „Bruderschaft“ darzustellen, die für den Einzelnen selbst die eigene Familie ersetzt. Ihr anzugehören führt zum Status eines „Auserwählten“. Die Auserwählten der Bruderschaft begreifen sich als „Avantgarde“ rechtgläubiger Muslime, die ihre Glaubensbrüder aus der Dekadenz der sie umgebenden „Unreinheit“ führen können, sollen, ja müssen. Mit diesem An-spruch und dieser Aufgabe gehörte man in der riesigen islamischen Weltgemeinschaft zu einer quantitativ winzigen, aber qualitativ wichtigen „Rettergeneration“. In dieser war und ist jeder einzelne „Retter“ als „Soldat des Kalifats“ wich-tig. Und eben nur sie, die „auserwählten Soldaten Allahs“, waren und sind zu einem Djihad bereit, der als „Gipfel des Glaubens“ seine theologische Rechtfertigung erhielt.
Für diese Mission, eben die „Befreiung der islamischen Welt von den Ungerechtigkeiten des internationalen Unglaubens“, war und ist der militärisch ausgebildete, religiös und psychologisch geschulte Djihadist bereit, das eigene Leben für sich selbst, die kleine Bruderschaft des Kalifats und die große muslimische Gemeinschaft als „Märtyrer im Heiligen Krieg“ zu opfern. „Wir lieben den Tod, ihr liebt das Leben“ - diese Opferbereitschaft soll die überlegene Stärke des Opferbereiten vor den Feinden des Islam belegen.
Die militärische Nutzung dieser Opferbereiten hat eine lange Tradition. Das Märtyrertum als Kriegerkult ist seit dem 11. Jahrhundert bekannt (insbesondere durch die schiitischen „Assassinen“ in Persien). Doch erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurden „Märtyrer zur eigen-ständigen Waffengattung im Djihad“, die der IS - wie keine djihadterroristische Gruppierung zuvor – noch erweiterte, indem er „das Märtyrertum industrialisierte“.
paperpress: In diesem Krieg werden also alle Mittel, auch die „nicht erlaubten“ eingesetzt?
Berndt Georg Thamm: So ist es für IS-Soldaten, erst recht in der „Verteidigung“ ihres Kalifats. Welche Mittel eingesetzt werden, wird ja gerade der Weltöffentlichkeit im Kampf um den Westteil Mossuls vor Augen geführt. IS-Kämpfer setzten hier nicht nur Ölquellen und Schwefelminen in Brand; sie missbrauchten Zivilisten als „menschliche Schutzschilder“ und egalisierten Kämpferverluste durch Rekrutierung von Kindersoldaten. Massiven Einschüchterungskampagnen wird durch Massenexekutionen Nachdruck verliehen. Sprengfallen, Heckenschützen und unübersichtliche Kampftunnelsysteme schrecken den Feind, der zudem auch mit Giftgas-Attacken rechnen muss. Mittlerweile sollen IS-Chemiker selbst chemische Kampfstoffe wie Senfgas her-stellen können. Last not least gehören Drohnen zur unbemannten IS-Luftwaffe, bestückt mit Kameras (die Märtyrer-Einsätze filmen) oder Sprengsätzen (die zielgenau über den Feind abgeworfen werden).
Eine einheitliche Verurteilung dieser Verbrechen gegen die Menschlichkeit gibt es in der muslimischen Weltgemeinschaft bis heute nicht. Selbst in Europa, auch in Deutsch-land, gab es Imame, die die „Härte im Djihad“ befürworteten und damit die Grausamkeiten des IS billigten. Aber es gab und gibt auch couragierte Muslime, die ob dieser IS-Grausamkeiten zur „Distanzierung von den Monstern“ auf-riefen, die im Namen des Islam mordeten und damit die Religion pervertierten. Was nicht so einfach ist, hat der IS doch eine „Tradition“ von der al-Qaida übernommen. Eben deren Tradition, Gewaltanwendung religiös zu begründen, die schon frühen „Heiligen Krieg als Gipfel des Glaubens“ spirituell beeinflusste und die Gewalt gegen ihre Feinde (des Islam) zum „ultimativen Gottesdienst“ verklärte.
Diese „religiöse Legitimation“ wird mit ein Faktor gewesen sein, der die zu diesem Djihad bereiten freiwilligen ausländischen Kämpfer, die „Foreign Fighters“ ansprach, zur Teilnahme motivierte.
paperpress: Der Einsatz von Foreign Fighters ist nicht neu. Schon vor Jahrzehnten standen ausländische Kämpfer auf Seiten afghanischer Glaubenskrieger. Was ist denn an den heutigen Foreign Fighters im Einsatzgebiet Nahost anders?
Berndt Georg Thamm: Nun, die Ausgangssituationen in den Kampfgebieten einerseits und die Motivlagen der frei-willigen Kämpfer andererseits könnten nicht verschiedenartiger sein.
Am Hindukusch bat vor bald 40 Jahren ein kommunistisch-sozialistisches Satellitenregime in Kabul den „Bruderstaat UdSSR“ um personelle Unterstützung bei der „Modernisierung“ ganz Afghanistans nach sowjetischem Vorbild. In der Folge unterstützte die Sowjetunion ab Weihnachten 1979 militärisch die „instabile sozialistische Gesellschaft“ im eigentlich blockfreien muslimischen Afghanistan.
Für viele Afghanen, mehrheitlich sunnitische Muslime, hat-ten damit ungläubige Invasoren aus dem sowjetischen dar alharb (Gebiet des Krieges) zur Unterstützung der eigenen gottlosen Regierung die afghanische dar al-Islam (Gebiet des Islam) besetzt. Damit wurde für die Muslime der sogenannte Kleine Djihad „als Anstrengung aller Kräfte im militärischen Sinn zur Verteidigung des Islam“ zwingend notwendig. Diese Pflicht - den afghanischen Glaubensbrüdern und Kämpfern (Mudjaheddin) beizustehen - forderte insbesondere die Gesellschaft der Muslimbrüder in der weltweiten Gemeinde der Muslime ein. Aber auch die in Saudi-Arabien beheimatete World Muslim League sowie die Palestinian Islamic Radicals organisierten freiwillige Rekruten, für die insbesondere in der arabischen Welt Anlaufstellen geschaffen wurden.
Völlig anders die Situation 35 Jahre später - mitten im nah-östlichen Bürgerkrieg 2014: Hier war gerade das neue Kali-fat ausgerufen worden. Und es war nicht irgendwer, es war der Kalif höchst selbst, der die Muslime zur Einwanderung· aufrief. Vom Selbstverständnis war und ist der Kalif der Herr der Welt, zumindest der Welt des sunnitischen Islam, dem alle Muslime der Welt Gehorsam schuldeten. Diesen An-spruch verdeutlichte seinerzeit der IS-Sprecher: „Die Legalität aller Emirate, Staaten, Gruppen und Organisationen wird null und nichtig durch die Autorität des Kalifen und die Ankunft seiner Truppen in ihren Gebieten“. Dementsprechend sprach der neue Kalif Ibrahim als „Nachfolger des Gesandten Gottes“ (khalifat rasul Allah) sowohl den sunnitischen Saudis als auch den schiitischen Iranern nicht nur den An-spruch ab, die jeweils einzigen wahren Nachfolger des Propheten und Schutzherren ihrer Gläubigen zu sein, sondern machte ihnen auch die Vorherrschaft beginnend im Irak und in Syrien streitig - quasi Kriegserklärungen an die Adressen des saudischen Königshauses und des iranischen Gottesstaates. Ich stelle dies hier so ausführlich dar, um zu verdeutlichen, welch ungeheure Power hinter der Kalifatsausrufung und der Einladung des Kalifen zur Ein-wanderung stand - am Anfang im Westen völlig unter-schätzt.
paperpress: Wie nachhaltig war denn dann die Einladung zur Einwanderung ins Kalifat? Lässt sich dies auch quantifizieren?
Berndt Georg Thamm: Nun, im ersten großen Djihad der Moderne kämpften in Afghanistan auf Seiten der Mudjaheddin von 1979 bis 1989 ungefähr 35.000 Foreign Fighters aus 43 islamischen Ländern des Mittleren Ostens, aus Nord- und Ostafrika, Zentralasien und dem Fernen Osten siegreich gegen ungläubige Rotarmisten und andere Gott-lose. In der Folge fand eine bis dahin mehr oder weniger verlässliche Sicherheitsarchitektur der bis zu diesem Zeitpunkt gültigen bipolaren Weltenordnung ihr Ende. In der dann beginnenden Zeit der „Weltunordnung“ fing ein (bis heute dauernder) territorial ungebundener Djihad der al-Qaida und anderer militant-islamistischer Bewegungen gegen den Internationalen Unglauben an, den der US-Politologe Samual Phillips Huntington (1927-2008) vor über zwanzig Jahren als „Kampf der Kulturen“ beschrieb.
Im großen Djihad für den Auf- und Ausbau des Kalifats in Nahost kämpften auf Seiten des irakisch-syrischen Kern-personals von 2012 (für den ISI/ISIS/ISIL als IS-Vorläufer) bis heute aus allen fünf Kontinenten der Welt mit ihren rund 200 Staaten um die 30.000 Foreign Fighters aus 115 Ländern. Nach der arabischen und der russischzentralasi-atischen Welt stellt Europa mit bis zu 5.000 Freiwilligen das drittgrößte Kontingent der Foreign Fighters. Von diesen ist wohl schon ein Viertel in die Europäische Union zurückgekehrt. Nicht wenige dieser „Rückkehrer“ gefährden die inne-re Sicherheit ihrer Heimatländer.
paperpress: Sind denn dann die Foreign Fighters eine Art „fünfter Kolonne“ des IS, die weltweit unterwegs ist?
Berndt Georg Thamm: So scheint es sich zu entwickeln. Erst Mitte November 2015 sprach das US-Außenministerium von 40.000 Foreign Terrorist Fighters (CFTF) des IS in den Reihen von Terrororganisationen weltweit - nicht nur in Syrien und im Irak, sondern auch in „Ablegern“ in Libyen, Ägypten, Saudi-Arabien, Afghanistan und Pakistan. So schloss sich eine im Februar 2011 ge-gründete Gruppe namens „Ansar Bait al-Maqdis“ (die Unterstützer Jerusalems), eine vor den Toren Israels vom Nordsinai aus operierende Terrorvereinigung, schon Mitte November 2014 offiziell dem IS an, benannte sich in der Folge in „Wilayat Sina“ (Unionsstaat Sinai) um.
In Ägyptens Nachbarstaat Libyen kontrollierte der IS im Mai letzten Jahres einen 300 Kilometer langen Küstenstreifen um die Hafenstadt Sirte herum. Fast zeitgleich wurde An-fang März 2015 in der IS-Provinz Kaukasus (Velajat Al-Kawkas) ein Videoclip veröffentlicht, in welchem alle Muslime in Russland aufgerufen werden, sich dem IS anzuschließen. Auch in Afghanistan breitet sich der IS, insbesondere nach dem 2015 bekannt gewordenen Tod des Taliban-Führers Mohammed Omar (1950-2013), immer weiter aus, sucht im Osten des Landes schon ein „Kalifat Khorasan“ mit der Hauptstadt Jalalabad zu errichten und läuft in seiner Radikalität nicht selten den Taliban, den Rang ab. So stürmten erst Anfang März vier als Ärzte verkleidete IS-Kämpfer das größte Militärkrankenhaus Afghanistans in Kabul. Mindestens 38 Menschen wurden getötet, 66 weitere verletzt. Selbst Bangladesch soll inzwischen als eine Art Brückenkopf für Südostasien dienen; mittlerweile werden sogar Querverbindungen zu radikalen Islamisten der ethnischen Minorität der Rohingyas in Myanmar (Burma) nicht ausgeschlossen.
Weltweit sollen sich, so Schätzungen im März 2016, rund 34 Terrorgruppen dem IS angeschlossen haben. Ein Jahr später merkte BND-Präsident Bruno Kahl in einem SPIE-GEL-Interview (18.3.2017) dazu an: „Es gibt immer wieder Bestrebungen im Namen des IS tätig zu werden. Das heißt aber nicht, dass alles zentral gesteuert wird“.
Nun, Foreign Fighters werden wohl noch über lange Zeiten eine globale sicherheitspolitische Herausforderung für die Staatengemeinschaft sein. Zurückgekehrt in über die Hälfte der Länder dieser Welt, werden sie wohl dann noch eine djihadterroristische Gefahr darstellen, wenn das neue Kalifat besiegt und untergegangen sein wird - was bis dato nicht der Fall ist. Die Gefahr gilt insbesondere auch für Europa, sind doch, nach Einschätzung der europäischen Polizeibehörde EUROPOL im Juli 2016, zwischen 1.500 und 1.800 Foreign Fighters hierher zurückgekehrt. ·
paperpress: War sich Europa denn dieser Bedrohung nicht bewusst? Oder wurde Europa überrascht? Gab es keine Anzeichen oder Hinweise?
Berndt Georg Thamm: Die gab es wohl. Kaum war das Kalifat ausgerufen, da kündigte die IS-Führung im Juli 2014 eine Expansion nach Europa in den nächsten fünf Jahren an. Der britische Geheimdienst sah darin ein „klares strategisches Konzept“ des IS, der deshalb „mehr als ernst“ genommen werden sollte. Die britische Zeitung 'Daily Mail' wertete seinerzeit diese im Netz veröffentlichte Expansions-Ankündigung als die „wichtigste Entwicklung des internationalen Djihadismus seit 9/11“.
Nach Vorstellungen des IS, so konnte man es ein gutes Jahr später in einer Djihadisten-Kampfschrift nachlesen, würde das Kalifat Europa von allen Seiten umzingeln und einnehmen - im Westen Spanien, im Zentrum Italien und im Osten die Türkei. Auf der iberischen Halbinsel gehörte einst al-Andaluz über fast acht Jahrhunderte bis 1492 zur spanischen dar al-Islam. „Wir erinnern an die spanischen Kreuz-züge gegen die Muslime, die Vertreibung aus al-Andaluz und die Prozesse der Inquisition. Das ist noch nicht lange her“, hieß es schon in der Drohbotschaft der Madrid-Attentäter (nach ihren Terroranschlägen in Vorortzügen am 11.3.2004 mit 191 Toten Und über 1.800 Verletzten) im März 2004. „Madrid soll 2020 fallen“, drohten nun zehn Jahre später die IS-Djihadisten.
paperpress: Standen denn die Briten mit ihrer Warnung - die IS-Terrorankündigungen zu banalisieren - alleine da? Sahen nicht auch andere Sicherheitsorgane in Europa die aufkommenden Gefahren? Gab es Einschätzungen zur Gefahr von EUROPOL?
Berndt Georg Thamm: Die britischen Sicherheitsprofis waren nicht alleine. In einem Bericht EUROPOLS, den Direktor Rob Waynewrigt Ende Januar 2016 in Amsterdam vorstellte, hieß es mehr als deutlich, dass die Djihadisten „insbesondere Europa im Visier“ hätten. Der IS, so die Expertise, hätte „neue, gefechtsartige Möglichkeiten“ entwi-ckelt, um weltweit eine Reihe „groß angelegter Terroranschläge“ zu verüben. Dazu hätte der IS ein Kommando für Einsätze außerhalb seines Kalifats in Syrien und Irak gebil-det, das „für Angriffe nach Vorbild von Spezialeinsatzkräften in einem internationalen Umfeld trainiert“, Diese Kommandos sollen völlig frei in der Wahl der Orte und Ziele ihrer Anschläge, sowie der Begehungsmodalitäten und Zeitabläufe sein. Als „Modell“ für diese neuen gefechtsartigen Möglichkeiten diente vielleicht/wahrscheinlich ein mehrtägiger Anschlag im indischen Mumbai (Bombay) vor über acht Jahren.
paperpress: Eine Terroraktion in einer Millionenmetropole wurde zur Vorlage, quasi zur Blaupause für organisierte Terroreinsätze in großstädtischen Ballungszentren?
Berndt Georg Thamm: Zur Blaupause. Vom 26. bis 28. November 2008 war eine Terrorgruppe aus Pakistan in der indischen Küstenmetropole Mumbai im „Einsatz“. Von der Terrororganisation „Lashkar-i-Toiba“ (Armee der Reinen) ausgebildet, stürmten nach der Überfahrt auf See Todes-kommandos, insgesamt fünf Zweier-“Hit-Teams“, fünf zuvor ausgemachte Anschlagsorte: Hotel Oberoi, ein Touristen-Cafe, Hotel Taj Mahal, Victoria Railway Station und das jüdische Nariman-House. In diesen drei Tagen töteten die mit Sturmgewehren, Handgranaten und Sprengsätzen aus-gestatteten LiT-Terroristen insgesamt 166 Menschen (da-runter 26 Ausländer) und verletzten über 300.
In der Folge wurde eine Terroraktion, in der bewaffnete „Märtyrer“ als Hit-Teams fast zeitgleich mehrere „weiche Ziele“ (soft targets) attackieren, eben das „Modell Mumbai“, für jede Metropole vorstellbar. Zur ersten terroristischen Anwendung kam es Jahre später in Afrika, wo vom 21. bis 24. September 2013 in Kenias Metropole Nairobi ein viel-köpfiges Hit-Team somalischer Djihadisten der „al-shabaab“ den riesigen viergeschossigen Gebäudekomplex der West-gate Mall überfiel und Besucher und Kunden zu Geiseln machte. Seinerzeit wurden über 200 Menschen verletzt und 72 getötet.
paperpress: Terrorattacken nach diesem „Modell Mumbai“ wären doch dann aber auch für europäische Metropolen vorstellbar? Oder noch schlimmer, es hat sie schon gegeben?
Berndt Georg Thamm: So ist es. Der IS ließ seinen Worten der Expansionsankündigung 2014 djihadterroristische Taten nach dem „Modell Mumbai“ inmitten europäischer Hauptstädte folgen. So attackierten am 13. November 2015 in Frankreichs Hauptstadt drei Hit-Teams mit IS-Hintergrund drei Anschlagsziele: das Fußballstadion „Stade de France“, Cafés und Restaurants der Bistroterrassen und das Konzerthaus „Bataclan“. Die mit Sturmgewehren und Sprengsätzen ausgerüsteten Djihadterroristen töteten 130 Menschen und verletzten über 350. Die Opfer stammten aus 19 Staaten. „In einer gesegneten Schlacht haben die Soldaten des Kalifats die Hauptstadt der Prostitution und des Lasters angegriffen, die Speerspitze des Kreuzes in Europa – Paris“, verkündete danach der IS in einem Be-kennerschreiben, das einen Tag nach den Mordtaten über soziale Netzwerke im Internet verbreitet wurde.
Keine vier Monate später nahmen in Belgiens Hauptstadt am 22. März 2016 zwei Hit-Teams mit IS-Hintergrund zwei Anschlagsziele ins Visier: den Brüsseler Flughafen „Zaventem“ (Abfertigungshalle) und die U-Bahn-Station „Maelbeek“ der Metro der Stadt. Mit den Terroraktionen töteten sie mindestens 31 Menschen und verletzten rund 300. Aus 40 Staaten stammten die Opfer.
Nach diesen Anschlägen warnten Innenpolitiker der betroffenen Staaten davor, den IS zu unterschätzen: „Auch wenn der IS militärische Niederlagen auf dem syrisch-irakischen Kampfgebiet hinnehmen muss, sei die Terrororganisation weiterhin in der Lage, logistisch komplizierte Terroroperationen mit Tätern an mehreren Orten in Europa zu organisieren“, hieß es nach Brüssel in Paris. Doch es sind nicht nur die erfahrenen Kämpfer, die ihr „terroristisches Handwerk“ im Djihad in Nahost erlernten, auf das Europa vorbereitet sein muss.
paperpress: Das klingt bedrohlich. Was muss Europa denn über die zurückgekehrten Djihadisten hinaus befürchten?
Berndt Georg Thamm: Nun, die Rückkehrer finden in ihren Heimatländern ja keine Tabula rasa vor, sondern einen - über lange Jahre gewachsenen - „islamistischen Unter-grund“.· Inmitten der großen Muslimgemeinden in Europa erwuchsen, insbesondere nach den 9/11-Anschlägen, klei-ne radikalislamische Bewegungen. Unter diesen war die Splittergruppe des politischen Salafismus die am schnellsten wachsende Bewegung.
paperpress: Was bedeutet denn der Begriff „Salafismus"? Und warum wird er zu den radikalislamischen Bewegungen gezählt?
Berndt Georg Thamm: Der arabische Begriff „salafia“ bezeichnet eine vor weit über einhundert Jahren entstandene Richtung des Reformislam, welche sich am gottgefälligen Leben der Gefährten des Propheten Mohammed und seiner Nachfolger orientiert, quasi an der Gesellschaft des Ur-Islam, am Leben der „frommen Altvorderen“ (as-salaf as-salih, daher der Begriff Salafismus). Dementsprechend grenzen sich Salafisten als die „wahrhaft Gläubigen“ (mu'minun) scharf von vermeintlichen „Ungläubigen“ (Kuffar) ab, zu denen sie sowohl Nicht-Muslime als auch andersgläubige Muslime (und bei diesen jede Form der Volksreligion) zählen. Nichtsalafisten sollen bekehrt - oder bekämpft werden. Welche Gefahren mit salafistischen Be-strebungen verbunden sind, machten bei uns schon Verfassungsschützer 2011 deutlich: „Ziel von politischen und djihadistischen Salafisten ist die vollständige Umgestaltung von Staat, Rechtsordnung und Gesellschaft nach einem salafistischen Regelwerk, das als gottgewollte Norm ange-sehen wird. Sie streben die Errichtung einer islamistischen Ordnung an, in der wesentliche Verfassungsprinzipien des deutschen Grundgesetzes keine Gültigkeit haben sollen. Die parlamentarische Demokratie soll als vermeintlich unis-lamisch und unvereinbar mit der Idee einer Gottesherrschaft abgeschafft werden“.
paperpress: Damit waren ja schon vor dem „Arabischen Frühling“ und vor dem Bürgerkrieg in Nahost in Europa islamistische Gefahrenpotenziale entstanden. Wurden denn diese erst mit der „Arabellion“ abgerufen oder bekamen sie schon zuvor eine Orientierung?
Berndt Georg Thamm: Den Muslimen in nichtmuslimischen Umwelten wurde schon vor vielen Jahren eine erste ideologisch-djihadistische Orientierung gegeben. Ein frühe-rer Gefolgsmann des Qaida-Führers Bin Laden, der Syrer Abu Mussab al-Suri, fasste seine „Suche nach neuen, übergreifenden Strategien des Djihad“ bereits 2004 in ei-nem voluminösen Werk zusammen, dem „Appell zum welt-weiten islamischen Widerstand“, In diesem Call to „Global Islamic Resistance“ (CIR) stellte er auf einfache, niederschwellige Strategien im Kampf, dem „Djihad der Armen“ ab. Seine Kampfschrift wendet sich (bis heute) an Sympathisanten in allen Ländern, in denen Muslime als Minderheit leben und von der nichtmuslimischen Mehrheit „unterdrückt“ werden. Somit wurde al-Suris CIR-Appell quasi zur „Bibel der Einzeltäter“, lonely wolves (einsame Wölfe) genannt.
paperpress: Können Sie Beispiele für das terroristische Wirken „einsamer Wölfe“ nennen?
Berndt Georg Thamm: Die terroristischen Spuren von al-Suri „inspirierten“ Einzeltätern und Kleinstgruppen ziehen sich wie ein roter Faden durch die letzten Jahre. Beispiel-haft stehen dafür im März 2012 der Anschlag auf die Jüdische Schule und französische Soldaten in Toulouse. Im April 2013 der Bombenanschlag eines tschetschenischen Brüderpaares auf den Marathonlauf in Boston. Im Mai 2013 der Mordanschlag auf einen britischen Soldaten in London. Im Mai 2014 der Anschlag auf kanadische Wachschützer und versuchten Sturmlauf auf das Parlament in Ottawa. Im Februar 2015 der Doppelanschlag auf ein Kulturhaus und eine Synagoge in Kopenhagen - und und und. Die Beispiele dieses „dritten Djihad“ sind Legion Al-Suris Appell gab aber nicht nur ungezählten Einzeltätern, sondern auch daheim-gebliebenen ISIS/ISIL/IS-Sympathisanten und selbst Syrien-Heimkehrern „djihadistische Orientierung“. Wohl auch den Attentätern von Paris, so Frankreichs renommierter Islamwissenschaftler Gilles Kepel Ende 2015, die dem Aufruf des (bei uns bis heute kaum bekannten) Vordenkers al-Suri folgten, der zum globalen Djihad aufgerufen hatte und der „eine Spaltung der Gesellschaft, einen regelrechten Bürgerkrieg zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen herbeiführen möchte“.
paperpress: Es gibt tatsächlich ein Konzept für eine Art Bürgerkrieg zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen mitten in Europa?
Berndt Georg Thamm: Wir können und dürfen diese Vor-stellung einiger IS-Ideologen nicht ausschließen. Das Konzept militanter Islamisten, durch djihadterroristische Aktionen „gewaltsame Gegenreaktionen der Mehrheitsgesellschaft zu provozieren“, zum Beispiel Brandanschläge auf Moscheen, zeigte schon nach den Pariser Anschlägen 2015 „Erfolge“ über „Europas Angst vor zurückgekehrten Kämpfern“, „Nadelstichoperationen, die Instrumentalisierung von Protestaktionen gesellschaftlicher Gruppen für eigene Zwecke und andere „Unterweisungen“ schrieb in eben jenem Jahr ein anonymer Djihadexperte ein „Mujahid Guide“.
Das in Englisch verfasste 70 Seiten starke „Handbuch für Glaubenskämpfer“ wurde in Deutschland durch das ZDF-Politmagazin „Frontal 21“ am 24. November 2015 medien-öffentlich, dennoch kaum bekannt. Der Titel der Schrift „How to survive in the West“ (Wie im Westen überlebt wird) ist Programm, wendet es sich doch eben an die Muslime, die in Ländern leben, in denen die Nicht-Muslime die Mehrheit stellen. Der Muslim lebt wie ein „Geheimagent“, so der Autor in seinem Vorwort, da er in den nicht-muslimischen Ländern sowohl ein öffentliches als auch ein „geheimes“ Leben zu führen hat, eben ein Doppelleben - und dies über Jahre. Durch das Studium der „Überlebensschrift“ soll ge-lernt werden, wie man zur „Schläferzelle“ wird, die zur rich-tigen Zeit aktiviert wird, wenn die Muslimgemeinschaft dies braucht.
paperpress: Muss uns dieser „Djihadisten-Führer“ ängstigen? Wird hier die Gefahreneinschätzung nicht übertrieben?
Berndt Georg Thamm: Ich gebe nur zu bedenken, dass es ein Fehler ist, den Gegner zu unterschätzen. Seine Absichten zu banalisieren, könnte ein Fehler sein. In dem aus zwölf Kapiteln bestehenden Handbuch sind die ersten bei-den Kapitel beispielsweise der „Verschleierung der Muslim-identität in nicht-muslimischen Ländern“ sowie der „Aufkündigung der Loyalität, das heißt, der Sicherheitsabkommen, die mit Nicht-Muslimen geschlossen wurden, quasi ein erlaubter Bruch der Friedenspflicht“ gewidmet. Nun, die Verschleierung der eigenen Identität und die der wirklichen Absichten hat in der muslimischen Welt eine lange Tradition und einen Namen – Takiya.
paperpress: Takiya - ist das eine Art Kriegslist?
Berndt Georg Thamm: So könnte man sagen. Takiya ist jedem Muslim erlaubt, nach einigen Gelehrten sogar Pflicht. Um „auf dem Weg Allahs“ erfolgreich zu sein, gilt auch die Takiya, das „Verhüllen“, als strategisches Mittel. Das „Verbergen der wahren Identität aus Vorsicht vor Widersachern“ bei drohendem Schaden oder Zwang ist damit erlaubt, auch wenn dies grundsätzlich den Forderungen des Islam wider-spricht. Mittel zum Zweck ist insbesondere die Lüge. Die Takiya hat die Funktion einer „Notlüge“ im Sinne einer erzwungenen Verleugnung des Islam, um sich letztlich für die „Sache des Glaubens“ erhalten zu können. Dies brachte schon vor zig Jahrhunderten Ibn Arabi (1155-1240) auf den Punkt: „Mündliche Lügen sind im Krieg erlaubt, um die Muslime zu stärken, wenn sie diese im Kampf benötigen“. Nach Auffassung nicht weniger Fundamentalisten ist Takiya gegenüber Ungläubigen keine Täuschung oder Lüge, da zu diesen grundsätzlich kein Vertrauensverhältnis besteht.
paperpress: Wenn Lügen als strategische Mittel im Djihad gegen die „Ungläubigen“ eingesetzt werden, dann kann es doch in der Bekämpfung der djihadistischen Takiya-Anwender zu bedrohlichen, wenn nicht gar gefährlichen Fehleinschätzungen kommen?
Berndt Georg Thamm: Das ist leider so. Djihadisten kämp-fen eben nicht immer mit offenem Visier. Ob als ziviler Helfer, Journalist, Geistlicher oder Polizist getarnt, das Täuschen und Verstellen dient der „Optimierung der Märtyreroperationen“ mit einer ganzen Bandbreite von Tarnlegenden. Genau so, vielleicht noch gefährlicher ist wohl die „Verschleierung der Muslimidentität“, beispielsweise durch die (auch phänotypische) Annahme des „westlichen Lebensstils“ mit Alkohol- und Drogenkonsum, auch durch das Eintauchen in das Kleinkriminellenmilieu des „dekadenten Westens“ - was die Erkennung des Djihadisten als Djihadis-ten immer schwieriger werden lässt, im Idealfall verunmöglicht. „Gefährder“ sind plötzlich nicht mehr von sicherheits-politischer Relevanz.
Die Terrorismusforschung kennt schon lange den Begriff des „symbiotischen Terrorismus“ und meint damit eine Kombination von krimineller Professionalität mit terroristi-scher Gewaltbereitschaft. Die Vorteilsgewinne, die dieses symbiotische Bündnis mit sich bringt, hat der IS wohl erkannt und für seinen Djihad instrumentalisiert.
Terrorismusforscher wie Peter Neumann vom International Centre for the study of Radicalization am Londoner King's College, sprechen in diesem Zusammenhang von einer „Proletarisierung des Djihad“.
paperpress: Was bedeutet denn die Proletarisierung des „Heiligen Krieges“ des IS? Schwächt das oder stärkt das den Djihad? Hatte das Osama Bin Laden mit der al-Qaida auch schon praktiziert?
Berndt Georg Thamm: Eigentlich hatte die al-Qaida aus-geprägte religiös-ideologische Anforderungen an ihre Djihadisten, kannte aber auch eine mehr „dunkel definierte Kategorie von Verbündeten“. So dürfen Glaubenskämpfer bei ihrem Djihad notfalls auch die Hilfe von Menschen in Anspruch nehmen, die aus „unreinen Motiven“ (z.B. um des persönlichen Vorteils willen) kämpften oder „einige Regeln und Gebote des Islam nicht beachteten“, hieß es bei Bin Laden, der sich auf den Religionsgelehrten Ibn Taimiya (1263-1328) berief. Die Ausnahme der al-Qaida wurde scheinbar zur Regel beim IS, der ganz pragmatisch im Djihad auf das Erfahrungswissen von Kleinkriminellen setz-te und setzt. Hatten und haben diese doch durch Straftaten, Gefängnisaufenthalte und Milieuzugehörigkeit Fähigkeiten erworben, die beim Durchführen von terroristischen Aktio-nen nur von Vorteil waren. Für diese Unterminierung ideologischer Standards steht symbolisch der IS-Visionär al-Zarqawi, der vor seiner „djihadistischen Laufbahn“ als Jun-ger Mann wegen Diebstahls, Drogenhandels und Körper-verletzungen verhaftet und inhaftiert war.
paperpress: Und was bedeuten engere Verbindungen zwischen islamistischen Terroristen und kriminellen Mili-eus?
Berndt Georg Thamm: Die bedeuten eine Zunahme der Gewaltbereitschaft und der Gewaltanwendung. Wie hoch-gefährlich Djihadisten mit kriminellem Hintergrund sind, wurde uns Europäern durch deren Terrorattacken in unseren Metropolen in den letzten Jahren vor Augen geführt. Weitere werden wohl folgen, sind doch, einer Studie des European Counter Terrorism Centre EUROPOLs Ende 2016 zufolge, vor allem Frankreich, Belgien, Deutschland, die Niederlande und das Vereinigte Königreich „Ziele einer anhaltend hohen Bedrohung“. Bisher verübten Djihadisten in Europa organisierte Terroraktionen (Paris, 7.- 9. Januar und 13. November 2015, Brüssel, 22. März 2016) mit Sturmgewehr und Sprengstoffweste. Radikalisierte Einzel-täter griffen zu Hieb- und Stichwaffen, vornehmlich zum Messer, oder setzten Fahrzeuge als Waffen ein, vom Pkw (Israel, ab 2014/15 diverse) bis zum schweren Lkw (Nizza, 14. Juli 2016 mit 86 Toten; Berlin, 19. Dezember 2016 mit 12 Toten; Jerusalem, 8. Januar 2017 mit vier Toten). Weitere Anschläge nach diesen Mustern können und dürfen nicht ausgeschlossen werden, wie der Pkw-Terroranschlag in London am 22. März, der fünf Menschenleben forderte, zeigte.
(Anm.d.Red.: Der Anschlag vom 20.04.2017 auf den Champs-Elysées, bei dem ein Polizist getötet, zwei weitere Beamte und eine Touristin verletzt wurden, und die Polizei den Angreifer erschoss, konnte in diesem Beitrag außer dieser Erwähnung nicht berücksichtigt werden. Redaktionsschluss für dieses Interview war der 13.04.2017.)
Doch sind auch Terrorattacken anderer Natur nicht nur möglich sondern auch wahrscheinlich, ist doch die „Erforschung neuer modi operandi“ nach Einschätzung EURO-POLs „ein Kennzeichen des IS“.
paperpress: Neue „modi operandi“? Das klingt sehr bedrohlich. Was hätten wir uns darunter vorzustellen? Auf was müssen wir uns einstellen?
Berndt Georg Thamm: Nüchtern, ganz pragmatisch weist EUROPOL auf die Möglichkeit neuer, anderer hochgefährlicher Attacken hin. Da wären zum einen mobile Sprengstoffanschläge durch „Autobomben“, sogenannte vehicle-born-operations. Eben Angriffe, bei denen IS-Selbst-mordattentäter mit Explosivstoffen bestückte Pkw's, Lkw's, Baufahrzeuge, Tanklaster und/oder andere Fahrzeuge an Zielorte bringen und dort detonieren lassen. Auch die Täter von Paris und Brüssel hatten ihre Angriffe ursprünglich wohl mit in Fahrzeugen verbrachten Sprengsätzen geplant. Auch ist Europa(West): bislang von Entführungen/Geiselnahmen größeren Ausmaßes, wie es sie beispielsweise schon vor vielen Jahren in Russland· (z.B. Oktober 2002: Nord-Ost-Theater in Moskau mit 800 Musical-Besuchern als Geiseln; September 2004: Schule in Beslan/Nordossetien mit rund 1.250 Besuchern, mehrheitlich Schüler, als Geiseln) gegeben hat. Selbst die Anwendung chemischer Kampfmittel wollen die polizeilichen Experten nicht auszuschließen und weisen darauf hin, dass es schon Indizien für IS-Experimente mit biologischen Kampfmitteln gebe. Und vielleicht müssen wir uns auch darauf einstellen, dass der IS Drohnen, heute als seine unbemannte Luftwaffe im Kampf um Mossul im Einsatz, morgen in Europa einsetzt. Was auch immer, härtere Anschläge des IS, so EUROPOL, sind zu befürchten. Zu den stark gefährdeten Staaten zählt die europäische Polizeibehörde auch Deutschland.
paperpress: Deutschland als Terrorziel des IS? In Ihrem letzten paperpress-Interview sprachen Sie schon von expliziten Drohungen gegen Deutschland. Das ist acht Jahre her. Was hat denn dazu geführt, was ist passiert, dass in dieser Zeit die Terrorgefahr nicht geringer, wahrscheinlich sogar größer geworden ist?
Berndt Georg Thamm: Über 15 Jahre nach den 9/11-Anschlägen gilt unter den rund vier Millionen hier lebenden Muslimen die Splittergruppe des politischen Salafismus als die am schnellsten wachsende radikalislamische Strömung. Als politisch-missionarische Bewegung gab es den Salafismus mit einigen 100 Anhängern schon 2001. Zur Zeit unseres Interviews 2009 beobachtete der Verfassungsschutz den beginnenden Aufbau einer eigenen Infrastruktur, begann dementsprechend die Salafisten deutschlandweit zu zählen.
Zählten die Verfassungsschützer 3.800 Salafisten im Jahr 2011, waren es schon 4.500 im Jahr 2012, 5.500 im Jahr 2013, 2014 schon 7.000, 2015 gar 8.350, Ende Oktober 2016 bereits 9.200. Ende März 2017 ging das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) von mehr als 10.000 Salafisten aus.
Der Propaganda dieser radikal-islamistischen Strömung, deren harter Kern den militanten Djihad zu einem untrennbaren Bestandteil muslimischer Glaubenspraxis erklärte, unterlag auch ein junger Muslim, der am 2. März 2011 „den ersten vollendeten, islamistisch motivierten Terroranschlag auf dem Boden der Bundesrepublik verübte“, so der Vorsitzende Richter des 5. Strafsenats des OLG Frankfurt/Main am 10. Februar 2012. Der 21-jährige Kosovo-Albaner Arid Uka war von den Richtern wegen Mordes an zwei US-Soldaten und versuchten Mordes an drei weiteren Amerika-nern in einem Bus am Flughafen Frankfurt/M. zu lebenslanger Haft verurteilt.
Im Jahr des Richterspruchs hatte sich die salafistische Szene in Deutschland schon so radikalisiert, dass es zu Gewaltaktionen in der Öffentlichkeit kam. So am 5. Mai 2012 in Bonn, wo bei einer islamfeindlichen Kundgebung der rechtspopulistischen Splitterpartei Pro NRW gewaltbereite Salafisten auch Polizisten angriffen und zwei Beamte durch Messerangriffe schwer verletzten. Dies war ein „völlig neuer Level an Aggressivität ohne jede Hemmschwelle“, die den Tod von Polizeibeamten in Kauf nahm. Zu dieser neuen Dimension der Auseinandersetzung merkte seinerzeit der Verfassungsschutz an, dass Deutschland in Zukunft „regelmäßig mit politisch motivierter Gewalt auf der Straße durch radikal-islamische Salafisten rechnen muss“. Kein Wunder, dass aus diesem islamistisch-salafistischen Um-feld ab 2012 die Mehrheit der Freiwilligen stammte, die in den Nahen Osten reiste, um hier an djihadistischen Fronten zu kämpfen.
Bis Oktober 2014, so das BfV und das Bundeskriminalamt (BKA), zogen über 450 (darunter 60 bis 70 aus Berlin) vornehmlich junge Männer von Deutschland nach Syrien, um am Djihad teilzunehmen. Darunter auch Führungspersonen des djihadistischen Salafismus, so Mohammed Mahmoud (Mitbegründer der schon vor Jahren verbotenen Vereini-gung „Millatu Ibrahim“ in Solingen) und Denis Mamadou Cuspert (einst bekannt als „Gangsta-Rapper“ Deso-Dogg) alias Abu Talha al-Amani.
In den Folgejahren stieg die Anzahl ausgereister Djihadis-ten weiter an. Anfang März 2017 zählte das BfV mehr als 910 (darunter 110 aus Berlin) Islamisten, die von Deutsch-land in den Terrorkampf in Nahost gezogen waren. Rund ein Fünftel davon waren Frauen, mehr als die Hälfte hatte die deutsche Staatsangehörigkeit. Etwa 145 der Djihadfrei-willigen hatte bis dahin den Tod in Syrien/Irak gefunden. über 300 der ausgereisten Djihadisten sollen wieder zurück nach Deutschland gekommen sein. Knapp die Hälfte der Djihad-Rückkehrer bleibt, einer Studie des Hessischen Informations- und Kompetenzzentrums gegen Extremismus, des BKA und des BfV zufolge, ihrer Gesinnung treu und ist weiterhin im extremistischen oder salafistischen Milieu unterwegs. Jeder Vierte der Rückkehrer soll aktive Kampferfahrungen haben. Kein Wunder, dass gerade diese von den Sicherheitsbehörden zum Personenkreis „islamisti-scher Gefährder“ gezählt wurden.
paperpress: Was haben wir uns unter „islamistischen Gefährdern“ vorzustellen? Welche Gefahren gehen von diesen aus? Wie viele gibt es eigentlich von ihnen in Deutschland? Werden es mehr oder weniger?
Berndt Georg Thamm: Unsere Strafverfolgungsbehörden verstehen unter „Gefährdern“ Personen, die als „potenzielle Terroristen“ erfasst sind und von denen graduell abgestufte Gefahren für unsere Sicherheit ausgehen. Das BKA, so der Stand Ende 2016, listete 548 Islamisten auf, denen An-schläge und weitere „politisch motivierte Straftaten von erheblicher Bedeutung“ zugetraut werden. Zu den als Ge-fährder eingestuften Personen zählte seit Februar 2016 auch der Tunesier Anis Amri, der am 19. Dezember den Terroranschlag in Berlin auf dem Weihnachtsmarkt an der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche beging. Seit einem halben Jahrzehnt steigen die Zahlen der Gefährder kontinuierlich. Waren es Anfang 2011 „nur“ 131, stufte die Polizei im Januar 2015 schon 266, zum Jahresende gar über 440 als Gefährder ein. Im letzten Jahr kamen noch über 100 Per-sonen hinzu. Ende 2016 waren es mehr als 540. In der jüngsten Listung des BKA wurden Anfang März 602 Is-lamisten als Gefährder eingestuft. Das Bundesinnenminis-terium zählte unter diesen 352 EU-Bürger und 250 Angehörige von Drittstaaten. Rund 300 halten sich derzeit nicht in Deutschland auf, etwa 100 befinden sich in deutschen Justizvollzugsanstalten. Fast jeder sechste Gefährder ist ein Konvertit.
In Relation zur Polizei wendet der Verfassungsschutz „weiter gefasste Kriterien“ an, zählt zusätzlich noch „relevante Personen“ als „Gefährder-Vorstufe“ sowie Personen, zu denen nachrichtendienstliche Kenntnisse vorliegen und kommt dementsprechend zu noch höheren Zahlen. Ordnete das BfV vergangenes Jahr diesem „islamistisch-terroristischen Personenpotenzial“ mehr als 1.200 Islamisten zu, sprach das Amt auf dem Europäischen Polizeikongress in Berlin Anfang März von nahezu 1.600 Islamisten. Auf diesem Kongress warnte BfV-Präsident Hans-Georg Maaßen: „Deutschland ist in der Zielauswahl des IS im Laufe des Jahres 2016 deutlich priorisiert“.
paperpress: Deutschland in der Zielauswahl des IS?
Berndt Georg Thamm: Deutschland als IS-Ziel - zunächst die Kurzfassung: 2014 die Ankündigung des Kommens; 2015 ein Jahr voller Terrorwarnungen; 2016 ein Jahr praktizierter Terroranschläge; 2017 - ein Jahr, in dem es noch schlimmer kommen könnte.
paperpress: Wie sieht denn Ihre Langfassung aus - die der Terrorwarnungen im Jahr 2015?
Berndt Georg Thamm: Im Juli 2014 hatte die IS-Führung eine Expansion nach Europa in den nächsten fünf Jahren bis 2020 angekündigt, Nach dem ersten Terroranschlag in Europa, zum Jahresanfang in Paris, schien auch die Gefährdungslage in Deutschland bedrohlicher.
Noch im Anschlagsmonat Januar wurde eine Pegida-Demonstration in Dresden verboten. Ob der zu erwartenden Islamfeindlichkeit hatten im Vorfeld Salafisten mit Störungen gedroht. Im Februar sagte die Braunschweiger Polizei den traditionellen Karnevalsumzug „Schoduvel“ wegen einer Terrorwarnung ab. Ende April war ein türkisches Ehepaar wegen des Verdachts, einen Terroranschlag vorzubereiten festgenommen worden. In der Folge wurde ein für den 1. Mai geplantes Radrennen rund um Frankfurt/Main abgesagt. Nach dem Terroranschlag in Paris sollte vier Tage später das Fußball-Länderspiel Deutschland-Niederlande in Hannover zur Solidaritätsveranstaltung mit Frankreich gegen den Terror werden. Zeitnahe ernstzunehmende Anschlagswarnungen eines ausländischen Nachrichtendienstes (Mossad?) führten dazu, dass die Begegnung kurzfristig abgesagt und das Stadion wegen einer unmittelbar bestehenden Gefahr geräumt wurde. Last not least gab es, wie schon in Februar in Bremen, zum Jahreswechsel Terroralarm in der bayerischen Landes-hauptstadt. Am Silvesterabend hatten die Sicherheitsbehörden Hinweise auf geplante Anschläge auf die Münchener Fernbahnhöfe bekommen, die in der Folge geräumt und gesperrt wurden. Waren die Anschlagsgefahren bis dahin mehr „abstrakt“, sollten sie mit fünf praktizierten Anschlägen 2016 ganz konkret werden.
paperpress: Fünf Anschläge in Deutschland 2016. Könnten Sie diese konkretisieren?
Berndt Georg Thamm: Gleich zu Beginn des Jahres wurde Deutschland im Ausland daran „erinnert“, zum Zielspektrum des IS zu gehören. Der Terroranschlag eines IS-Selbstmordattentäters am 12. Januar in Istanbuls Stadtteil Sultanahmet traf eine Touristengruppe aus der Bundesrepublik und riss 12 Deutsche in den Tod. In Deutschland selbst wurden in der Folgezeit fünf Anschläge verübt.
Am 26. Februar griff in Hannover eine 15-Jährige deutsch-marokkanische Schülerin im Hauptbahnhof einen Bundes-polizisten mit einem Messer an und verletzte diesen lebensgefährlich. Das Mädchen war schon früh mit extremistisch-religiösen Kreisen in Kontakt gekommen, soll die Tat unter Anleitung und im Auftrag des IS begangen haben. Die Gymnasiastin wurde am 26. Januar vom OLG Celle zu sechs Jahren Haft wegen versuchten Mordes und Unter-stützung einer terroristischen Vereinigung verurteilt. Die 16-
|
|
|
|
Anmeldung
Impressum
p a p e r p r e s s Ed Koch (Herausgeber und verantwortlich für den Inhalt) Träger: Paper Press Verein für gemeinnützige Pressearbeit in Berlin e.V. Vorstand: Ed Koch - Mathias Kraft Postfach 42 40 03 12082 Berlin Email: paperpress[at]berlin.de PDF-Newsletter-Archiv: www.paperpress-newsletter.de
|