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Leitkultur und andere Katastrophen

geschrieben von: Redaktion am 20.05.2017, 04:11 Uhr
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Am 18. Dezember 1953 eröffnete der Bezirksbürgermeister von Tempelhof ein Jugendfreizeitheim am Mariendorfer Damm mit den Worten: „Ich hoffe, dass hier die Jugend in alter Zucht und Sitte erzogen wer-den möge.“ Was hat er wohl acht Jahre nach Kriegs-ende und vier Jahre nach Gründung der Bundesrepublik Deutschland damit gemeint? Deutsche Leitkultur? Welche? Die aus Kaiser Wilhelms Zeiten? Doch hoffentlich nicht die, die zwischen 1933 und 1945 in Deutschland vorgeschrieben war.

Gleich vorweg: Wir brauchen keine Leitkultur. Tolerantes Verhalten jeder und jedem gegenüber reicht vollkommen aus. Und wenn sich Toleranz noch mit einem hohen Maß an Sozialverhalten paart, ist alles in Ordnung im Staate Deutschland. Alles andere regeln Gesetze, und davon haben wir ausreichend.

Innenminister Thomas de Maizière hielt es für erforderlich, genau jetzt, das Thema Leitkultur mal wieder auf die Tagesordnung zu setzen. Nachzulesen auf:

http://www.zeit.de/politik/deutschland/2017-04/thomas-demaiziere-innenminister-leitkultur/seite-2

Die 10 Gebote des CDU-Politikers sind gespickt mit Allgemeinplätzen, mit Selbstverständlichkeiten und mit Weltfremden. „Wir sagen unseren Namen. Wir geben uns zur Begrüßung die Hand.“ Das erinnert ein wenig an Loriot: „Mein Name ist Lohse, ich kaufe hier ein!“ Kriegt der Innenminister überhaupt noch was mit? Händeschütteln ist weit verbreitet, weltweit. Gerade Jugendliche machen aber alles andere, als sich die Hand zu geben. Und wenn – aus welchem Grunde oder Glauben heraus – mir irgendwer nicht die Hand geben möchte, dann „so what?“ Erinnern Sie sich noch an Adrian Monk? Ein guter Amerikaner, vermutlich mit großer Leitkultur. Der gab nun sehr ungern jemand die Hand, und wenn, dann musste seine Assistentin ihm danach ein Feuchttuch reichen.

Interessant ist die Verbindung, die de Maizière zwischen „Vermummungsverbot“ und „Wir sind nicht Burka“ herstellt. Abgesehen mal davon, dass es auch zur Leitkultur gehören müsste, ein einigermaßen vernünftiges Deutsch zu sprechen. Der BILD-Gag „Wir sind Papst“, ist abgedroschen. Aber „Wir sind nicht Burka“ würde nicht einmal ein Jugendlichen mit Einwandererhintergrund sagen, dann schon eher: „Ey, spinnste Alta!“ Ich weiß wirklich nicht, was sich der Minister für Leitkultur gedacht hat. Seine Thesen werden nicht dadurch besser, dass sie in der ZEIT und nicht in BILD erschienen.

„Wir sehen Bildung und Erziehung als Wert und nicht allein als Instrument. Schüler lernen – manchmal zu ihrem Unverständnis – auch das, was sie im späteren Berufsleben wenig brauchen.“ Das würde auch jeder Norweger oder Japaner unterschreiben.

„Wir sehen Leistung als etwas an, auf das jeder Einzelne stolz sein kann.“ Was heißt hier stolz? Man leistet etwas, um sich etwas leisten zu können. Das nennt man arbeiten. „Der Leistungsgedanke hat unser Land stark gemacht!“ Ist das wirklich so? Ich halte es für ein Wunder, dass in einem Land, das sich zwischen Mitte April und Anfang Juni fünf völlig überflüssige Feiertage leistet, überhaupt noch ein Exportüberschuss erwirtschaftet werden kann.

De Maizière meint mit leisten aber auch, dass wir Hilfe leisten für die Kranken und Schwachen. Eine Selbstverständlichkeit, die nichts mit Leitkultur zu tun hat.

„Wir sind Erben unserer Geschichte mit all ihren Höhen und Tiefen. Unsere Vergangenheit prägt unsere Gegenwart und unsere Kultur.“ Ich brauche diesen Politiker nicht, damit er mich darauf aufmerksam macht. Ich habe in Auschwitz das Zitat von George Santayana am Eingang des Blocks 4 gelesen: “Those who do not remember the past are condemned to repeat it.” („Diejenigen, die sich nicht der Vergangenheit erinnern, sind verurteilt, sie erneut zu durchleben.“) Damit ist alles gesagt.

Die weiteren Thesen des Innenministers ähneln eher einer Gebrauchsanweisung für gute Deutsche, als einem Leitbild, dem sich alle anschließen müssen. Wollen wir wirklich aus jedem Einwanderer einen guten Deutschen machen? Wäre es nicht ausreichend, wenn er ein guter Mensch ist, egal mit welchen Wurzeln? „Bach und Goethe ‚gehören‘ der ganzen Welt und waren Deutsche.“ Mich erinnern die so genannten Leitsätze an das Zitat von Emanuel Geibel: „Am Deutschen Wesen mag die Welt genesen.“ Schon unser erster Bundespräsident Theodor Heuss erteilte diesem Spruch 1952 eine Absage: „Es ist kein Volk besser als das andere, es gibt in jedem solche und solche. Amerika ist nicht ‚God’s own country‘, und der harmlose Emanuel Geibel hat einigen subalternen Unfug verursacht mit dem Wort, dass am deutschen Wesen noch einmal die Welt genesen werde.“ Sehr vorausschauend, als hätte er geahnt, dass uns eines Tages ein Donald Trump mit „America First“ nerven würde. An dieser Stelle breche ich die Betrachtung der Zehn Gebote unseres Innenministers ab. Leiten wir über zu einem anderen leidvollen Leitbild. Beschäftigen wir uns ein wenig mit dem

Bürger in Uniform

Es ist wohl dem Wahljahr geschuldet, dass Ursula von der Leyen überhaupt noch im Amt ist. Seitdem die Wehrpflicht abgeschafft wurde, ist die Bundeswehr mehr und mehr zu einem Sammelbecker ideologisch rechts belasteter junger Männer geworden, obwohl die Zahl der „identifizierten“ Soldaten mit rechtsextremistischen Ansichten zurückgegangen sein soll. Wie schwer man sich allerdings mit der Identifizierung tut, zeigen die jüngsten Beispiele.

Keine Verallgemeinerung: Die meisten Soldaten sind anständige Menschen mit hoher ethischer Grundhaltung. Es gibt aber auch viele, denen das Schnuppe ist. Die Wehrmacht ist die Vorgängerarmee der Bundeswehr. Deshalb muss die Bundeswehr nicht in der Tradition der Wehrmacht stehen. Denn: die Wehr-macht hat einen unsäglichen Krieg geführt und ihn dazu noch verloren. Das mit dem unsäglichen Krieg ist leidvoll, weil sich dadurch die europäische Landkarte zu Ungunsten Deutschlands verändert hat. Nicht zu vergessen, dass in Folge dieses Krieges Polen um ein Drittel seines Gebiets von Osten nach Westen verschoben wurde. Das ist Geschichte. Dass die Wehrmacht den Krieg verloren hat, ist ein großes Glück für uns. Nicht auszudenken, wie die Welt heu-te aussähe, wenn sich Nazi-Deutschland behauptet hätte.

Erinnerungsstücke aus Zeiten des Ersten oder Zweiten Weltkrieges haben in heutigen deutschen Kasernen nichts zu suchen, auch wenn Theo Sommer in einer Zeit-Kolumne schreibt: „Die Ausputz-Aktionen in den Kasernen sind maßlos.“

Auch über die Namen der Kasernen muss man sich Gedanken machen. Der blanke Aktionismus von Frau von der Leyen ist aber reichlich übertrieben. Ich habe mir die Liste mal angeschaut. Ja, es gibt zwei Kasernen, die den Namen des so genannten „Wüstenfuchs“ Erwin Rommel tragen, in der baden-württembergischen Gemeinde Dornstadt eine „Rom-mel-Kaserne“ und im nordrhein-westfälischen Augustdort eine „General Feldmarschall Rommel-Kaserne.“ Das ausgerechnet in dieser ein Soldat wegen rechtsextremer Äußerungen suspendiert wurde, mag Zufall sein. Es gibt auch die „Feldwebel Schmid-Kaserne.“ Anton Schmid war ebenfalls Mit-glied der Wehrmacht. Schmid soll 300 Juden aus dem Wilnaer Ghetto gerettet haben und wurde dafür hingerichtet. Ein Schicksal, das auch Erwin Rommel ereilte. Ansonsten sind die meisten Kasernen nach Orten benannt oder Widerstandskämpfern. Aber auch nach Walter Reinhardt, dem letzten Preußischen Kriegsminister und ersten Chef der Heereslei-tung der Reichswehr ist eine Kaserne benannt.

Da wird sich wohl die Verteidigungsministerin Gedanken machen müssen, wer einer Kaserne würdig ist und wer nicht. Eine Helmut-Schmidt-Kaserne gibt es nicht. Aber die Bundeswehr-Universität Hamburg trägt seinen Namen. Dort hing offenbar schon seit längerer Zeit ein Bild von Helmut Schmidt in Wehrmachtsuniform aus dem Jahre 1940. Nun wurde es im Zuge der Säuberungswelle abgehängt.

„Das Foto von Helmut Schmidt ist unbequem“, schreibt Lorenz Hernicker in der Frankfurter Allgemeinen. „Es zeigt einen der wichtigsten und geachtetsten Politiker unserer Demokratie als Offizier des Dritten Reiches. Aber diese Unbequemlichkeit muss die Bundeswehr aushalten können. Die Universität sollte das Foto wieder aufhängen, so wie es ist, ohne jeden Kommentar. Die Offiziere müssen sich mit ihm auseinandersetzen können. Alles andere wäre falsch verstandene Geschichtsbereinigung.“ Und der frühere Verteidigungsminister Scharping hält die Entfernung des Bildes von Altkanzler Schmidt in Wehrmachtsuniform für grundfalsch. „Hexenverbrennung hätte man das früher wohl genannt.“ Diese Meinungen teile ich nicht. In die Universität gehört ein Bild von Helmut Schmidt, als Verteidigungsminister oder als Bundeskanzler, nicht aber in Wehrmachtsuniform. Was soll das für ein Zeichen sein? Außerdem gefiel mir der Bürger Schmidt ohne Uniform besser.

Ed Koch

  
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