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Abgeräumt

geschrieben von: Redaktion am 30.06.2017, 10:50 Uhr
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Man weiß ja nicht, wen man mehr bewundern soll: Angela Merkel, weil sie mal wieder so ganz nebenbei ein Thema abgeräumt hat, das zwar nur eine Min-derheit betrifft, im Wahlkampf aber mächtig genervt hätte, oder Thomas Oppermann, der Merkel richtig verstanden hat und ihren Wunsch sofort umsetzte. Ich wusste gar nicht, dass es die Zeitschrift „Brigitte“, die ich zuletzt bei meiner Oma sah, noch gibt. „Dies Blatt gehört der Hausfrau“ hieß jene 1886 gegründete Zeitschrift, aus der „Brigitte“ hervorging. Nicht zum ersten Mal nutzte Angela Merkel eine Talkrunde bei „Brigitte“ um Wesentliches zu sagen, nämlich, dass sie Männer mit schönen Augen attraktiv findet.

In diesem Jahr war sie nun der Meinung, dass das Thema „Ehe für alle“ eine Gewissensentscheidung sei. Zur Erinnerung: Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - Artikel 38 (1) Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt. Sie sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen.“ Schön, dass man Selbstverständlichkeiten noch einmal dem Volk vermittelt. Der Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD hat es bislang verhindert, dass offen im Deutschen Bundestag über den Gesetzentwurf „Ehe für alle“ abgestimmt werden konnte. Halten wir also fest: Koalitionsverträge stehen über dem Grundgesetzt und hebeln dessen Bestimmungen aus. Keine neue Erkenntnis, aber immer wieder gut, wenn wir uns das noch einmal vor Augen halten.

Ich glaube nicht, dass Angela Merkel damit gerechnet hat, dass die SPD nur fünf Tage später das Gesetz im Bundestag zur Abstimmung stellt, nachdem der Rechtsausschuss grünes Licht gegeben hatte. Jener Ausschuss, der viele viele Male genau das verhindert hat. Nicht aus Überzeugung der Mehrheit im Ausschuss, sondern eben wegen des Koalitions-vertrages.

393 Abgeordnete stimmten dafür, 226 dagegen, vier konnten sich nicht entscheiden. Angela Merkel, die durch ihr „Gewissensäußerung“ die Abstimmung erst möglich machte, warf eine rote Karte in die Abstimmungsurne, und rot heißt Nein. Wie auch immer, Angela Merkel hat das Thema abgeräumt, es spielt im Wahlkampf keine Rolle mehr. Der Rot-Rot-Grüne Sieg von heute kann auf den Plätzen und in den Hallen nur zitiert werden. Historisch an der heutigen Bundestagssitzung war vor allem, dass sich um 8 Uhr 623 der 630 Abgeordneten auf ihren Plätzen befanden. CDU/CSU: 309, SPD: 193, Linke: 64, Grüne: 63, fraktionslos: 1. Apropos. Der schönste Moment dieser Sitzung war, dass jene fraktionslose Abgeordnete ihre Abschiedsrede hielt. Erika Stein-bach ist nach ihrem Austritt aus der CDU nun auch aus dem Bundestag ausgetreten. Beifall auf der linken Seite des Hohen Hauses.

Wenn man ein wenig hin und her rechnet, fällt einem auf: 309 CDU/CSU. 226 Nein-Stimmen. Differenz 83. Selbst wenn wir die Abwesenden auf alle Parteien umlegen, sind es doch sehr viele Unions-Leute, die sich für die „Ehe für alle“ ausgesprochen haben. Vielleicht hat der Aufruf „Gebt Euch einen Ruck“ des Berliner Bundestagsabgeordneten Dr. Jan-Marco Luczak etwas in den eigenen Reihen bewirkt.

Die CDU soll aber aufhören zu jammern. Ihre Vorsitzende hat ihr das eingebrockt. Jetzt von Koalitions-bruch zu reden, ist lächerlich. Vor allem drei Monate vor der nächsten Wahl.

Wir reden in diesen Tagen so viel über Rot-Rot-Grün auf Bundesebene und blenden völlig aus, dass es eine Rot-Rot-Grüne Mehrheit gibt: 320 R2G zu 309 Union. Was hätte man alles damit anstellen oder anrichten können…

Kaum war die Entscheidung zur „Ehe für alle“ getroffen, füllten sich die E-Mail-Konten mit Pressemitteilungen. Die Berliner CDU-Vorsitzende Monika Grütters erklärt: „In meiner mittlerweile mehr als 20-jährigen Parlamentszeit ist mir eine Entscheidung zu einer Abstimmung noch nie so schwer gefallen wie diese. Abgesehen von den bedauerlichen Umständen der Abstimmung - aus einem so hochsensiblen Thema sollte niemand ein schäbiges Wahlkampfmanöver machen - und abgesehen von sehr wohl be-gründeten verfassungsrechtlichen Zweifeln, abgesehen auch von dem Zeitdruck und der damit verbundenen Zuspitzung in der Debatte um ein Pro und Contra einer ‚Ehe für alle‘ fällt es mir als gläubige Katholikin in dieser sehr weltoffenen und für ihre vielfältigen Lebensstile bekannten Stadt Berlin schwer, mich ohne Zweifel eindeutig zu positionieren.“ Die Umstände der Abstimmung hat Frau Merkel zu verantworten. Auch geht es hier nicht um ein „schäbiges Wahlkampfmanöver“. Frau Merkel hat das Thema abgeräumt, nicht mehr und nicht weniger. Und über den Zeitdruck kann sich die CDU, die jahrelang eine offene Abstimmung verhindert hat, nun wirklich zu allerletzt beklagen. Die weiteren Aus-führungen von Frau Grütters sind teilweise sehr berührend, nicht nur deshalb geben wir hier den Wortlaut wieder: „Einerseits gehört der Eigen-Sinn der sakramentalen Ehe zu den zentralen Werten kirchlich gebundener Lebens- und Gesellschaftseinstellungen. Ihr gilt ein besonderer Schutz, weil eben in der Verbindung von Mann und Frau auch leibliche Kinder geboren werden können und Familien eine umfassende Fürsorge der Gesellschaft verdienen. Andererseits sehen auf Dauer angelegte, in Liebe zueinander und in Sorge füreinander angelegte Beziehungen in einer diskriminierungsfreien Gesellschaft wie unserer heutigen inzwischen sehr vielfältig aus.

Diese Vielfalt empfinde ich als große Bereicherung unseres Zusammenlebens. Deshalb ist es bedauerlich, dass Betroffene die geltende Rechtslage als Diskriminierung empfinden und auf der anderen Seite traditionell Verheiratete und kirchliche Kreise befürchten, der Begriff der Ehe und ihr Gehalt könnten zum beliebigen Instrument werden. Gerade auch diese Empfindungen nehme ich sehr ernst. In einem Land wie unserem heutigen Deutschland, das in den vergangenen Jahrzehnten so viel offener, vielfältiger und gelassener geworden ist, muss es möglich sein, Unterschiede diskriminierungsfrei festzustellen.

Und aus meiner Sicht bleiben die Ehe zwischen Mann und Frau und eine Familie mit leiblichen Kindern immer noch etwas Anderes als eine gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaft. Nach reiflicher Überlegung habe ich mich dennoch entschieden, für die Öffnung der staatlichen Eheschließung für gleichgeschlechtliche Paare zu stimmen, nicht ob-wohl, sondern weil ich katholisch bin. Es ist die christliche Botschaft der Nächstenliebe, die uns dazu auffordert, im menschlichen Miteinander das Verbindende über das Trennende zu stellen - die Ebenbildlichkeit Gottes über unterschiedliche Lebensweisen - und aus dieser Haltung heraus nicht nur das Eigene, sondern gleichermaßen auch das Andere anzuerkennen und zu achten.

Was heterosexuelle von homosexuellen Menschen unterscheidet, ist die sexuelle Orientierung und damit verbunden die Option, in ihrer Partnerschaft miteinander leibliche Kinder bekommen zu können. Was heterosexuelle und homosexuelle Menschen verbindet, ist der Wunsch, für einen geliebten Menschen einzustehen, sich dauerhaft zu binden und damit nicht nur Verantwortung füreinander zu übernehmen, sondern auch ein sichtbares Zeichen der Liebe und des Bekenntnisses zueinander zu setzen. Ich wünsche mir, dass der gegenseitige Respekt gegenüber unterschiedlichen Lebensentwürfen wächst und dass die Ehe zwischen Mann und Frau und dass Familien weiterhin im Zentrum staatlicher Fürsorge stehen.“

Mit der heutigen Entscheidung ist aber ein Hindernis für gleichgeschlechtliche Paare nicht vom Tisch, nämlich die gesellschaftliche Akzeptanz. Homophobie ist immer noch weit verbreitet und händchenhaltende Männer oder Frauen sollten sich die Gegenden in Berlin aussuchen, wo sie langlaufen.

Berlins SPD-Chef und Regierender Bürgermeister Michael Müller erklärt: „Wir haben in Deutschland lange auf die Ehe für alle warten müssen. Als tolerante und offene Gesellschaft waren wir nicht nur in Berlin schon längst bereit für die vollkommene Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Partnerschaf-ten. Eine gesetzliche Hürde, für alle, die wie wir in Berlin, Freiheit und Vielfalt leben und lieben, ist endlich überwunden. Ich freue mich über die Ehe für uns alle, über diesen großen Fortschritt für uns alle."

Und auch die Bezirksbürgermeisterin von Tempelhof-Schöneberg, Angelika Schöttler, vor deren Rathaus in jedem Jahr die Regenbogenflagge gehisst wird, freut sich über die Entscheidung im Deutschen Bundestag: „Ich bin froh, dass unser Kampf für die gesetzliche Gleichstellung homosexueller Paare endlich erfolgreich war. Als Bezirksbürgermeisterin von Tempelhof-Schöneberg, in der die größte LSBTI*-Community Europas beheimatet ist, habe ich schon lange die ‚Ehe für alle‘ gefordert. Es war längst über-fällig, hier den letzten Schritt zu gehen. Schließlich ist auch das Adoptionsrecht für homosexuelle Paare an die ‚Ehe‘ gebunden. Im Gleichstellungskampf wurde mit großer Kraft und Energie in den letzten Jahrzehn-ten viel erreicht, nun freuen wir uns über das heutige gute Abstimmungsergebnis im Bundestag. Das Ergebnis spiegelt auch die schon längst vorhandene Akzeptanz in der Bevölkerung wieder. Endlich kann unser Standesamt gleichgeschlechtlichen Paaren auch zu Ihrem ehelichen Glück verhelfen!“ Eine Hürde dürfte allerdings sein, beim Standesamt einen Termin zu bekommen.

Noch ist nicht alles in trockenen Tüchern. Die Hard-core-Gegner werden vor das Bundesverfassungsgericht ziehen. Die letzte Entscheidung fiel also nicht heute in Berlin, sondern wird in Karlsruhe getroffen.

Ed Koch


  
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