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geschrieben von: Redaktion am 25.02.2018, 06:45 Uhr
paperpress550
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Da ich nur diesen Wettbewerbsbeitrag der 68. Berlinale gesehen habe, fehlt mir der Überblick, um beurteilen zu können, ob die Verteilung des Goldenen und der Silbernen Bären gerechtfertigt war oder nicht. An der Entscheidung der Jury ist, seit es das Filmfestival gibt, immer herumkritisiert worden. Es ist eben auch Ansichts- und Geschmacksache, ob einem ein Film gefällt oder nicht. Ich zumindest stimme selten mit Juroren oder Kritikern überein. Was vor allem Kritiker zerreißen, finde ich meistens gut und was sie loben, oft richtig schlecht. So ist das nun mal.
Vor rund 30 Jahren war auch paperpress bei der Berlinale akkreditiert und ich wanderte jeden Tag ins Kino. In späteren Jahren war das zeitlich nicht mehr möglich und wir nahmen Filmbesprechungen aus unserer Berichterstattung heraus. Seit je her ist die Berlinale ein Publikumsfestival, und zwar das größte der Welt. Diejenigen, die Festival-Chef Dieter Kosslick gerade auch wegen der Größe kritisieren und eine Entschlackung fordern, sind in meinen Augen deshalb dumme Menschen, weil sie gegen den Film und gegen das Publikum argumentieren. Fast zwei Jahrzehnte ist für einen Festivalleiter eine lange Zeit, und ja, irgendwann muss die Nachfolgefrage geklärt werden. Die Art und Weise, wie man Kosslicks Vertrag auslaufen lässt, ist jedoch unwürdig und undankbar. Nun soll eine Kommission die Nachfolge regeln. Und schon wird über eine Doppelspitze gesprochen. Was für ein Blödsinn. Natürlich muss dieser Doppelspitze dann auch eine Frau angehören, ohne Quote kann man in diesem Land nicht einmal mehr eine Würstchenbude betreiben.
Denen das Festival zu groß ist, kann man nur raten, sich den Kartenverkauf anzuschauen. Das Interesse ist immens und zwar in allen Sektionen des Festivals. Besonders lächerlich sind die Vergleiche der Berlinale mit Venedig oder Cannes. „Die eine Stadt hat 260.000 Einwohnerinnen und Einwohner, die andere kommt gerade mal auf 75.000. Wenn man wollte, könnte man jedem und jeder von ihnen ein Ticket für einen Berlinale-Film schenken – sie würden alle unterkommen.“, schreibt die ZEIT. Es ist eben Berlin. Hier wird Bestehendes und Bewährtes wenig gewürdigt, dafür aber umso mehr gemeckert. Die Berlinale 2019 leitet noch Dieter Kosslick, auf die können wir uns freuen, was danach kommt, sollte uns mit Sorge erfüllen.
Dass sich das Publikum bei den Premieren und natürlich den Wettbewerbsbeiträgen drängelt, ist klar, aber auch bei den Wiederholungen am nächsten Tag. Um 11 Uhr kam ich am Samstag am Friedrichstadt-Palast an, um den deutschen Festivalbei-trag „In den Gängen“ von Thomas Stuber zu sehen. Um 12 Uhr sollte es losgehen. Um 11 Uhr stand schon eine 500 m lange Reihe vor mir. Und als sich die Türen öffneten, stürmten die Leute wie früher beim Sommerschlussverkauf in den Saal, denn auf den Tickets stand „freie Platzwahl“. Ich ergatterte gerade noch mit meiner Begleiterin zwei Plätze in Reihe 8 Mitte. Mitte ist wichtig, weil man von hier aus den direkten Blick auf die Leinwand hat, sollte man immer bedenken.
Der Film spielt in einem Markt für Wiederverkäufer, so etwa wie die METRO. Dass er im Osten angesiedelt ist und dann und wann die übliche Jammermentalität „früher war alles besser“ durchschlägt, nervt ab und zu, spielt aber keine große Rolle. Ein junger Mann, Christian (Franz Rogowski) fängt neu in der Getränkeabteilung an. Bruno (Peter Kurt) zeigt dem Frischling, was zu tun ist. Christian verliebt sich in Marion (Sandra Hüller) aus der Süßwarenabteilung. Die Königskinder können zusammen nicht kommen, denn Marion ist verheiratet. Kein Happy End, und auch sonst oft düstere Momente. Dabei beginnt der Film fröhlich mit dem Wiener Walzer, zu dem die Gabelstapler im Takt durch die Gänge rauschen. Die Musik im Film ist gut gelungen, wobei in den Märkten dieser Art meistens eintöniges Hintergrundgedudel läuft.
Es ist 50 Jahre her, da machte ich eine Ausbildung bei der EDEKA. Und diese unterhielt einen Markt für ihre Mitglieder, der große Ähnlichkeiten mit dem im Film hat. Ich fühlte mich versetzt in meine Lehrzeit, die ich weitestgehend verdrängt hatte. Thomas Stuber und Clemens Meyer, die das Drehbuch verfassten, haben ganz hervorragend die Realität in so einem Markt eingefangen und auf die Leinwand gebracht. Geradezu genial ist es, wie sie die Charaktere getroffen haben. Ich habe aus meiner Zeit in dem besagten Markt der EDEKA, der sinniger Weise SEBEKA hieß, alle wiedergetroffen. Den Paletten-Klaus, der durch die Gänge fuhr und die Euro-Paletten einsammelte, den Bruno aus der Getränke-abteilung, den Mann im abgeschirmten Zigarettenlager, die Frauen in der Süßwarenabteilung, die Gefrierkammer, die Dame am Empfang und alle anderen. Meine realen Kollegen von damals müssten längst tot sein, in dem Film waren sie plötzlich alle wieder da. In Christians Kampf mit der „Ameise“, mit der man Paletten transportiert, sah ich mich plötzlich wieder. Nicht selten schrubbte ich irgendwo gegen. Der Film ist sehenswert, aber auch beklemmend, wenn man überlegt, dass viele in so einem Markt ein Leben lang arbeiten. Ich habe 1970 am Ende meiner Lehrzeit die richtige Entscheidung getroffen und den Beruf gewechselt. Das war besser für die EDEKA und vor allem für mich.
Ed Koch
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