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geschrieben von: Redaktion am 09.07.2019, 22:09 Uhr
paperpress566
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Eigentlich ist der Sachverhalt ganz einfach. Sie sind (schein)selbständig, haben also nur einen Arbeit(Auftrag)geber und bekommen von diesem für Ihre Dienstleistung eine Vergütung. Ihr Einkommen müssen Sie selbst versteuern. Auch die Sozialversicherungsbeiträge müssen Sie direkt an die Träger, Rente, Krankenkasse etc. überweisen. Ihr Auftrag-geber zahlt Ihnen die Hälfte der Versicherungsbei-träge, weiß aber natürlich nicht, wie hoch diese insgesamt sind. Also bekommen Sie einen Pau-schalbetrag, der höher ist als Ihr Anteil. Es entsteht eine Differenz zu Ihren Gunsten. Diese werten Sie, weil Sie es nicht besser wissen und Ihnen niemand etwas anderes gesagt hat, als zusätzliches steuer-freies Einkommen. Jahrelang ging das gut. Niemand fragte nach.
Plötzlich und unerwartet trifft auch Sie die Digitalisierung in Form eines „Amtshilferichtlinienumsetzungsgesetzes“. Ihr Auftraggeber führt ein neues elektronisches Datenübermittlungsverfahren ein und das Finanzamt erfährt nun erstmals die genauen Beiträge Ihrer Sozialversicherung und die Höhe der Auftraggeberpauschale. Die Differenz fällt auf und das Finanzamt macht in solchen Fällen das, was es zu machen hat, es versteuert nach. Sie haben es bemerkt, es geht in diesem Beitrag um jene Frauen und Männer, die Tagespflegeeinrichtungen für Kin-der betreiben.
Der Schreck war groß, als die Tagespflegepersonen davon erfuhren, denn dem Vernehmen nach soll es sich um Nachforderungen aus den Jahren 2017 und 2018 in teilweise vierstelliger Höhe handeln. Viele Tagespflegepersonen sehen dadurch ihre Existenz bedroht und versammelten sich am 5. Juli zu einer Demonstration, die große Aufmerksamkeit in den Medien erfuhr. Rechtlich gesehen, ist dem Finanz-amt nicht vorzuwerfen, dass es Steuern eintreibt, auch nachträglich. Und es nützt nichts, mit dem Finger auf die Senatsjugendverwaltung zu zeigen, die in Kenntnis der Sachlage jahrelang eine zu hohe Pauschale auszahlte. Es müssen gegebenenfalls Gerichte klären, ob man die Senatsjugendverwaltung dafür haftbar machen kann.
Sehr schade finden wir es, dass ein Vorschlag des bildungspolitischen Sprechers der FDP-Fraktion, Paul Fresdorf, nicht einmal ansatzweise diskutiert und von der Senatsjugendverwaltung geprüft wird. Fresdorf fordert, dass der Senat unverzüglich einen Nichtanwendungserlass beschließt. „Dann können die Auswirkungen der beabsichtigten Steuernach-forderung an Kindertagespflegepersonen betrachtet und bewerten werden, um ein parteiübergreifendes Vorgehen im Interesse der Kindertagespflegeplätze und Tagespflegepersonen zu finden. Am Ende sollte es möglichst keine rückwirkende Besteuerung geben, um die Gefährdung von mindestens 3.000 Tagespflegeplätzen (von insgesamt rund 6.000) abzuwenden.“
Aufgeschreckt durch die Demonstration der Tagespflegepersonen lud Jugendstaatssekretärin Sigrid Klebba am 8. Juli Vertreter/innen der Tagespflegen in die Senatsverwaltung ein. Begleitet wurde das Gespräch von einer weiteren Demonstration vor dem Dienstsitz in der Bernhard-Weiß-Straße. Übrigens: ausgelöst wurde alles durch ein Schreiben der Senatsjugendverwaltung, in dem auf die Steuer-nachzahlungen aufmerksam gemacht wurde. Dieses Schreiben wurde von einigen Bezirks-Jugendämtern an die Tagespflegepersonen mit freundlichem An-schreiben und Grüßen weitergleitet, andere Bezirke sahen dazu keinen Anlass.
Nach dem Gespräch mit der Staatssekretärin kam es zu gewissen Irritationen. Es entstand der Eindruck, als seien die Steuernachzahlungen vom Tisch. Dem ist aber nicht so!
In einer Pressemitteilung der Senatsjugendverwaltung vom 9. Juli heißt es: „Gute Nachrichten für die Kindertagespflege: Entgelt wird erhöht.“
„Sigrid Klebba, Staatssekretärin für Jugend und Familie, hat sich gestern mit Berliner Tagesmüttern in der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie zum Gespräch getroffen. Anlass war die Kritik von Tagespflegepersonen am Verfahren zur Erstattung von Sozialversicherungsbeiträgen und damit verbundene Steuerrückzahlungen für 2017 und 2018. Tagespflegepersonen befürchteten, dass als Folge einer angekündigten Verfahrensänderung die Zahlungen des Landes für 2019 gekürzt werden und damit erhebliche Einkommenseinbußen zu er-warten sind.“
Das ist aber nur ein Aspekt der Geschichte. Sigrid Klebba: „Es war ein konstruktiver Austausch und ich hoffe, dass viele Sorgen genommen werden konnten. Ich habe zugesagt, dass die Entgelt-Zahlungen des Landes an die Tagespflegepersonen nicht gekürzt werden und auch keine Entgelt-Rückforderungen erhoben werden. Stattdessen verbessern wir das Einkommen der Tagespflegepersonen. Künftig wird auch die sogenannte mittelbare pädagogische Arbeit, also Vor- und Nachbereitungs-zeiten, vergütet. Diese bereits länger geplante Ver-besserung wollen wir vorziehen. Sie soll rückwirkend zum 1. Januar 2019 gelten. Tagespflegepersonen leisten einen wesentlichen Beitrag zur Kindertagesbetreuung in Berlin. Es ist das erklärte Ziel der Senatsverwaltung, die Kindertagespflege zu stärken und auszubauen.“
Es bleibt aber dabei, dass „im Entgelt, das das Land Berlin Tagespflegepersonen zahlt, die Sozialversicherungsbeiträge pauschal enthalten sind. Wenn Tagespflegepersonen tatsächlich weniger an Sozialversicherungsbeiträgen zahlen als diese Pauschale beträgt, muss die Differenz versteuert wer-den…Wenn Tagespflegepersonen es jedoch wünschen, kann die Entgeltsumme auch angepasst wer-den, so dass die Differenz von vornherein geringer ausfällt.“ Das ist wirklich eine Zumutung. Sollen die Tagespflegepersonen, deren Tätigkeit die klassischen Merkmale einer Scheinselbständigkeit erfüllen, sich auch noch einen Steuerberater halten, der die Beträge vor und nach Steuern auseinanderklamüsert?
Es ist erfreulich, dass Berlin seinen 1.600 Tagespflegepersonen mehr Geld zahlen will. Das war ohnehin geplant. Und dafür hätte niemand auf die Straße gehen müssen. Das Hauptproblem, die Steuernach-zahlungen für 2017 und 2018 bleibt bestehen. Dazu erklärte die Jugendverwaltung: „Die Senatsverwaltung kann die individuellen Steuerbescheide nicht beeinflussen. Frau Klebba hat in den vergangenen Tagen in Gesprächen mit der Finanzverwaltung auf die besondere Situation der Tagespflegepersonen hingewiesen. Wenn Steuerforderungen nicht sofort erfüllt werden können, besteht die Möglichkeit der Stundung durch einen Antrag beim jeweiligen Finanzamt.“ Danke für diesen zielführenden Hinweis.
Die Demonstrationen haben erreicht, dass die Tagespflegepersonen früher als erwartet mehr Geld bekommen. Das Kernproblem bleibt aber erhalten. Viele Tagespflegepersonen dürfen demnächst ratenweise ihre Steuerschuld abtragen, aus der dann ihre Entgelterhöhungen mitfinanziert wird.
Die Euphorie, die am 8. Juli bei vielen herrschte, ist verflogen, nachdem alle auch das Kleingedruckte gelesen haben. Die Forderung ist nicht vom Tisch, den Tagespflegepersonen die Steuerschuld zu erlas-sen. Das muss möglich sein und darauf sollte der Berliner Senat dringen. Ebenso wichtig wäre zu erfahren, um welche Beträge es im Einzelfall geht. Bislang wurde nur von mehreren tausend Euro gesprochen. Genauere Zahlen wären hilfreich.
Ed Koch
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