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geschrieben von: Redaktion am 30.01.2020, 08:05 Uhr
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Was für eine Kulisse. Pariser Platz 3. Das AXICA-Kongresszentrum in Pink gehüllt, neben dem Brandenburger Tor. Ein ovaler Raum mit zwei erhöhten übereinander liegenden Sitzreihen links und rechts dem Podium zugewandt. Allein, um diesen Raum und das architektonisch beeindruckende Atrium des Gebäudes zu sehen, hat sich der Ausflug in Berlins Mitte gelohnt. Alles andere konnte man schon am Morgen des Tages den Medien entnehmen. Claudia Kintscher, die neue Pressesprecherin des SPD-Landesverbandes, hatte ihren ersten großen Auftritt und meisterte die Moderation souverän. Sie hatte nicht einmal Zeit, ihren neuen Chef Michael Müller richtig kennenzulernen, da verabschiedet sie ihn auch schon.
Versuchen wir, die Pressekonferenz der Berliner SPD einzuordnen. Fest steht nur, dass Michael Müller auf dem Landesparteitag im Mai nicht wie-der als Vorsitzender antreten wird. Er war es zwölf Jahre, länger als Willy Brandt, Klaus Schütz oder Walter Momper. Er wurde 2012 weggeputscht und kehrte 2016 auf den Posten zurück. Das ist vor ihm keinem gelungen. Müller sieht so harmlos aus, wie Schwiegermutters Liebling, hat es aber faustdick hinter den Ohren. Je mehr der Landesparteitag im Mai näher rückte, desto lauter wären die Stimmen aus Partei und Medien geworden, die einen Wechsel an der Spitze gefordert hätten. Die Medien haben ohnehin Franziska Giffey zur neuen Ikone auserkoren, und werden nicht müde, sie als eine Art Heilsbringerin hochzustilisieren. Gegenwärtig wird ist in den Medien schon spekuliert, um wie viele Punkte sie die derzeitige Umfragewerte von 15 Pro-zent erhöhen könnte. Warten wir es ab.
Michael Müller ist ein Coup gelungen. Er hat nicht abgewartet, bis der Druck wächst. Den Medien nahm er die Freude, ihn weichzukochen. Er hat selbst entschieden, und zwar zu einem Zeitpunkt, als niemand damit rechnete. Weihnachten ist eine schöne Zeit zum Nachdenken. Müller und Giffey, so erfährt man, haben das besinnliche Fest genutzt, sich Gedanken über ihre Zukunft zu machen. Vergnüglich berichtet Müller den Journalisten von vielen Treffen in seinem Wahlkreisbüro, in dem die Entscheidungen fielen. „Und Sie haben davon nichts mitbekommen!“, fügt er lachend hinzu. Müller macht einen sehr aufgeräumten Eindruck.
Auf der Pressekonferenz wurde nicht mehr, aber auch nicht weniger gesagt als das, was jeder schon wusste und Müller seinen Parteimitgliedern am selben Tage in einem Schreiben mitteilte. Er tritt im Mai nicht mehr an. Nachfolger sollen in einer Dop-pel-spitze Bundesministerin Franziska Giffey und Fraktionsvorsitzender Raed Saleh werden. Alles andere sind Spekulationen und Gerüchte. Auch Abendschau-Moderatorin Eva-Maria Lemke bekam trotz mehrfachen Nachfragens von Müller keine weiteren Informationen über andere Personalien.
Verbleiben wir noch kurz bei dem neuen Führungs-Duo. Dem langjährigen Beobachter der Szene und Autor dieses Beitrages erschließt sich nicht, welche inhaltlichen Gründe für Franziska Giffey sprechen. Als Bürgermeisterin von Neukölln gab sie erfolgreich die Rolle der Kümmerin und war beliebt bei den Leuten. Innerhalb der Partei hatte sie jedoch keine Hausmacht. Und so war es geradezu ein Affront gegen den Berliner Landesverband der SPD, eingefädelt vom brandenburgischen Nachbarn Dietmar Woidke, Giffey als „Ostdeutsche“ für das Bundes-kabinett zu empfehlen. Ihre Arbeit als Bundesministerin für die umfassenden Zielgruppen Familie, Senioren, Frauen und Jugend, macht sie gut. Sie hat viel auf den Weg gebracht, das muss man anerkennen. Eine Parteiorganisation zu leiten, ist aber et-was anderes als ein Bundesministerium. Für Giffey spricht hauptsächlich ihre Popularität, woran eine zitierfehlerhafte Doktorarbeit oder dienstliche Verfehlungen ihres Mannes, die juristisch noch nicht abschließend geklärt sind, nichts geändert haben. Politik lebt auch von Gallionsfiguren, auf Plakaten vorzeigbare Menschen. Wenn das als Stellenausschreibungsprofil der SPD reicht, dann soll es so sein.
Giffey gilt in der SPD dem „rechten Lager“ zugehörig, was in einem überwiegend linken Landesband etwas schwierig sein dürfte. Nachdem sich aber bereits unmittelbar nach Bekanntwerden der Entscheidung aus Müllers Wahlkreisbüro die Jusos in den Staub geworfen haben, dürfte der Wahl Giffeys im Mai nichts im Wege stehen, auch wegen mangelnder Alternativen. Die Berliner Juso-Chefin An-nika Klose bat in einem InfoRadio-Interview lediglich darum, dass Giffey auf die Jusos und Parteilinken zugehen müsse. Die Jusos sind bescheiden ge-worden.
Und was ist mit Raed Saleh? Während Müller und Giffey souverän ihre Texte aufsagten, wirkte der Spandauer Strippenzieher sichtlich nervös. Gänzlich aus dem Konzept brachte ihn die Frage, ob es Gegenkandidaturen geben könnte und ob er nur für das Duo mit Giffey stehe. Ja schon, und Gegenkandidaturen seien ja immer möglich, sagte er ziemlich verunsichert. Niemand soll sich darüber hinwegtäuschen, dass Saleh sein Ziel, selbst Regierender Bürgermeister zu werden, noch längst nicht aufgegeben hat. Bei dem Mitgliederentscheid 2014 landete Saleh im Wettkampf mit Müller und Stöß auf dem dritten und damit letzten Platz. Müller erzielte 60 Prozent, seine beiden Kontrahenten jeweils rund 20. Einen neuen Mitgliederentscheid müsste Saleh fürchten. Es ginge also nur über einem Putsch. Saleh hat Zeit. Er ist gerademal 42 Jahre alt. Er kann abwarten bis der Hype um Franziska Giffey verflogen ist. Heute noch überschlagen sich die Zeitungen mit völlig irren Superlativen ohne Substanz. Giffey wird 2021 die Wahlen verlieren und in einer Grün-Linken-SPD-Koalition Jugendsenatorin werden. Und irgendwann schlägt dann die Stunde des Spandauers.
Wie muss man sich die Arbeitsteilung der beiden neuen Landesvorsitzenden vorstellen? Bezieht jeder ein Büro in der Müllerstraße? Wohl kaum. Saleh fühlt sich am wohlsten in seinem Wahlkreisbüro in Spandau, und dort, nirgendwo anders, finden dem-nächst die Kungelrunden statt. Franziska Giffey wird das Gesicht der Partei sein, die Strippen zieht Raed Saleh, der dann Fraktion und Partei kontrolliert. So wie er in der Fraktion einen getreuen Gefolgsmann in der Person von Torsten Schneider hat, wird er seine Leute im Kurt-Schumacher-Haus installieren. Schneider ist inhaltlich betrachtet der eigentliche Vorsitzende, Saleh hat für die Niederungen der Arbeit keine Zeit, er muss telefonieren und sich um die Pflege der Kontakte kümmern. Anders als in der Fraktion wird es in der Parteizentrale nicht laufen. Saleh hat sich erfolgreich gegen eine Doppelspitze im Fraktionsvorstand gewehrt. Dass er sich jetzt im Parteivorstand darauf einlässt, wider-spricht seinem Wesen. Eine Gleichberechtigte neben ihm ist eigentlich nicht sein Ding.
Es sind weitere Fragen zu klären. Die Ausrufung eines Spitzenkandidaten für die Wahlen 2021 steht noch nicht auf der Tagesordnung. Es läuft derzeit alles auf Franziska Giffey zu. Sie müsste sich aber wenigstens ein bisschen als Parteivorsitzende qualifizieren, damit auch die Jusos und Partei-Linken beruhigt sind. Natürlich wäre Giffey ein Wechsel nicht nur an die Parteispitze, sondern möglichst sofort in das Büro des Regierenden Bürgermeisters am liebsten gewesen. Davon träumen kann man ja, es würde aber von einem gewissen Realitätsverlust zeugen. Aus einem Amt heraus Wahlkampf zu machen, ist sinnvoll. Die Sache hat bloß mehrere Haken. Grüne und Linke haben Dank ihrer guten Um-fragewerte kein Interesse daran, höchstens an Neuwahlen, aus denen derzeit ein Grüner Senats-chef hervorgehen würde. Grüne und Linke haben sich unmissverständlich geäußert. Und Michael Müller erklärte mit fester Stimme: „Klar ist, ich bleibe Regierender Bürgermeister!“ Erstaunlich, dass Müller der Personalie Saleh zustimmte, be-kämpften sich doch beide jahrelang gnadenlos. Gab es einen Deal? Hat Saleh, der stets vielen viel verspricht, auch Müller etwas versprochen? Das würde dann doch sehr an Goethes Faust erinnern.
Ed Koch
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