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geschrieben von: Redaktion am 28.03.2020, 09:11 Uhr
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Abends wird von den Balkonen denen applaudiert, die sich gegenwärtig den Buckel für uns krumm machen. Und jeder, so gut er kann, spielt und singt zur Aufmunterung die Ode an die Freude aus Beethovens Neunter, obwohl der vierte Satz aus Mahlers Fünfter, das im Film „Der Tod in Venedig“ verwendete Adagietto, das angebrachtere Werk wäre.
Politiker kommen in der Aufzählung derer, denen gedankt werden sollte, nicht vor. Dabei sind sie es, die in unzähligen Krisenstäben das verbliebene öffentliche Restleben durch weitestgehend sinnvolle Maßnahmen am Laufen halten. Das muss ein föderaler Rechtsstaat erst einmal hinbekommen, inner-halb einer Woche ein Milliardenhilfsprogramm auf den Weg zu bringen. Jetzt muss das Geld „nur noch“ bei den Betroffenen ankommen. Erwartungsgemäß hakt es an dieser Stelle, aus technischen Gründen.
Seit gestern können beispielsweise Unternehmen und so genannte Soloselbständige Anträge auf eine nicht rückzahlbare Soforthilfe bei der Investitions-bank Berlin (IBB) stellen. 240.000 Antragsberechtig-te gibt es, 100.000 haben gestern ihr Glück versucht, 3.000 Anträge konnten bearbeitet werden, davon 200 in der ersten Stunde. 3.400 Anträge pro Tag kann die IBB bearbeiten und das Geld überweisen. Man muss kein Mathegenie sein, um sich aus-rechnen zu können, wie lange es dauert, ehe alle Antragsberechtigten über das dringend benötigte Geld verfügen können, nämlich rund 70 Tage, in denen gerade die Kleinen schon pleite sein könnten.
Die beruhigenden Worte von Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne), „Auch wer erst später seinen Antrag stellen kann, wird sein Geld schnell und unbürokratisch erhalten“, nützen denen wenig, die in der nächsten Woche, am 1. April, ihre Miete bezahlen müssen.
Der Senat hat der IBB eine Aufgabe übertragen, die sie mit ihren Möglichkeiten gar nicht mit der gebotenen Schnelligkeit bearbeiten kann. Die Mitarbeiter der IBB arbeiten bis zur Erschöpfung und müssen sich, wie Pop dem Tagesspiegel sagte, dafür noch beschimpfen lassen. Die Zeit war sehr knapp, um die technischen Voraussetzungen für eine derart große Antragsstellung zu schaffen. Unverständlich ist, warum die IBB diese Last allein tragen muss. Warum können die Unternehmen die Anträge nicht bei ihrer Hausbank stellen, die sich dann das Geld von der IBB erstatten lässt? Das würde das Verfah-ren auf viele Schultern verlagern. Der Senat darf die IBB nicht im Regen stehen lassen, sondern muss umgehend Alternativen anbieten. Außerdem müssen alle Steuervorauszahlungen sofort von den Finanzämtern ausgesetzt und nach der Krise neu bewertet werden. Durch die Einnahmeausfälle werden sich logischer Weise auch die Steuerzahlungen verringern.
Mehr als alle anderen Berufsgruppen, denen wir in diesen Tagen zu danken haben, wird bei den Politikern der Dank am Erfolg ihrer Maßnahmen gemessen werden. Nach dem neuesten Politbarometer des ZDF sind derzeit 89% der Befragten mit der Arbeit der Bundesregierung zufrieden. Das Krisen-management der Bundesregierung, an der neben CDU und CSU auch die SPD, immerhin mit dem Finanzminister Olaf Scholz und Arbeitsminister Hubertus Heil beteiligt ist, wird aber in den Um-fragen allein der Union gutgeschrieben.
Die Meinungsforscher von Forsa und der Forschungsgruppe Wahlen haben vom 23.-25., bzw. 23.-26. März, 1.502 bzw. 1.473 Wahlberechtigte befragt. Die Ergebnisse sehen wie folgt aus, erste Zahl Forsa, zweite FGW, in Klammern jeweils Plus oder Minus zur vorangegangenen Umfrage:
CDU/CSU: 36% (+4) – 33% (+7)
SPD: 16% (+1) – 15% (-1)
Grüne: 17% (-3) – 22% (-1)
AfD: 8% (unverändert) – 10% (-4)
Linke: 8% (-1) – 8% (unverändert)
FDP: 6% (-1) – 6% (unverändert)
Die Differenz bei den Grünen von immerhin fünf Prozent ist merkwürdig. Erschreckend hingegen die Stagnation bei der SPD. In der Liste der zehn wichtigsten Politiker ist Olaf Scholz als einziger Sozial-demokrat vertreten, Platz 4, immerhin. Vor ihm auf den Plätzen 3 bis 1, Jens Spahn, Markus Söder und Angela Merkel. Trotz vielfacher Kritik am Krisenmanagement von Spahn, auch aus den eigenen Reihen, kommt er bei den Leuten gut an. Nach der Zeit der Sprachlosigkeit hat die Bundeskanzlerin die Lage offenbar im Griff, auch vom Homeoffice aus. Am bayerischen Ministerpräsidenten scheinen die Menschen seine Entschlossenheit zu mögen, immer wieder als Solopolitiker mit Maßnahmen vorzupreschen. Auf eine einheitliche Regelung legt der der-zeitige Vorsitzende der Ministerpräsidentenkonferenz offenbar wenig wert. Der Vollständigkeit halber die Plätze 5 bis 10: Robert Habeck (Grüne), Ar-min Laschet (CDU), Annalena Baerbock (Grüne), Horst Seehofer (CSU), Friedrich Merz (CDU) und Christian Lindner (FDP).
Warum schreiben die Wähler der SPD nichts gut in diesen Krisenzeiten? Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken, die beiden Vorsitzenden, tauchen in der Liste der zehn wichtigsten Politiker nicht auf. Viele Menschen wissen offenbar gar nicht, dass Esken und Walter-Borjans die SPD anführen. Wie auch. Frau Esken ist Bundestagsabgeordnete. Auf ihrer Abgeordnetenseite befindet sich nicht nur ein schon etwas älteres Foto, sondern kein Hinweis darauf, dass sie Vorsitzende der SPD ist, wohl aber Vorsitzende des Kreisverbands Calw in Baden-Württemberg. Als Mitglied des Bundestages könnte sie doch jederzeit das Wort ergreifen, oder nicht? Googelt man „Saskia Esken – Reden im Bundestag“ ist der letzte Eintrag vom 2. Juni 2017, fünf Minuten zum Thema „Digitale Agenda 2014-2017.“
Hans-Jörg Vehlewald ist Chefreporter für Politik bei der Bild-Zeitung. Kurzzeitig war er 2012 als Be-rater im Presse- und Kommunikationsteam beim SPD-Bundesvorstand tätig. Das hat offenbar weder ihm noch der SPD etwas gebracht. „Für deutsch-landweites Aufsehen sorgte eine von Vehlewald und Rolf Kleine verfasste, im Januar 2017 bei Bild erschienene Meldung, wonach Sigmar Gabriel SPD-Kanzlerkandidat werde, was sich als Falschmeldung herausstellte.“ (Quelle: Wikipedia) Kann passieren. Kei-ne Falschmeldung ist offenbar, dass die beiden SPD-Vorsitzenden einen „Jubelbrief an ihre Parteimitglieder“ schickten. „Die Krise wird uns allen viel abverlangen. Aber wir werden es schaffen. Denn wir halten zusammen!“
In seiner Kolumne wirft Vehlewald Esken und Walter-Borjans vor, in ihrem Schreiben ausschließlich die SPD-Minister in der Bundesregierung zu erwähnen.
„Es sind vor allem unsere starken Ministerinnen und Minister, die Vorschläge entwickelt haben und jetzt Tempo machen, damit die Folgen der Krise begrenzt bleiben.“ Natürlich war es nicht Olaf Scholz allein, der das Hilfspaket über 156 Milliarden Euro für Kleinunternehmer und Soloselbständige auf den Weg brachte. Scholz tritt ja regelmäßig mit Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) auf. Das hätte man vielleicht erwähnen können, aber nicht müssen. In Briefen an die Parteimitglieder muss man nicht zwangsläufig die Mitbewerber erwähnen und schon gar nicht loben.
Und so rufen die SPD-Chefs ihren Leuten in Erinnerung, was die eigenen Minister geleistet haben. Vehlewald listet das freundlicher Weise auf:
Franziska Giffey: „Macht für Familien mit kleinem Einkommen den Kinderzuschlag unkompliziert zugänglich.“
Christine Lambrecht: „Schützt Mieterinnen und Mieter, damit sie jetzt nicht ihre Wohnung verlieren – oder ihren kleinen Laden.“
Heiko Maas: „Holt in einer beispiellosen Rückholaktion Deutsche aus der ganzen Welt zurück nach Hause.“
Hubertus Heil: „Kämpft um jeden Arbeitsplatz. Dafür hat er nach der guten Einigung im Koalitions-ausschuss das Kurzarbeitergeld weiter verbessert und schon rückwirkend zum 1. März scharf gestellt.“
„Von den anderen Ministern im Kabinett KEIN WORT“, beklagt der Bild-Kommentator und ergänzt das Mitgliederschreiben der SPD: „NICHTS über Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU), der täglich im Kreuzfeuer der Pandemie steht, oder über Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU), der an der Seite von Sozialminister Hubertus Heil von einer Pressekonferenz zur nächsten eilt. Nichts zu Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU), die hamsterkaufende Verbraucher im Zaum hält, oder zu Innenminister Horst Seehofer (CSU), der historisch einmalige Grenzschließungen zu managen hat. Und natürlich auch KEIN WORT über Kanzlerin Angela Merkel (CDU), die erstmals in der deutschen Nachkriegsgeschichte ein ganzes Land stillzulegen hat.“ Das alte Motto der SPD, so Vehlewald, laute: „Wenn die Sonne morgen lacht, hat das die SPD gemacht.“
Für Vehlewald ist das Eigenlob der SPD-Führung peinlich und „umso schamloser, wenn man erkennt, welche Rolle die beiden Parteiführer im aktuellen Krisenmanagement der GroKo spielen. Nämlich keine.“ Das Bild-Imperium schlägt zurück. Nochmal: In Mitteilungen an die Mitgliedschaft ist keine Partei verpflichtet, die Leistungen der anderen zu erwähnen. Es mag sein, dass Esken und Walter-Borjans „lediglich am Spielfeldrand stehen und klatschen – oder buhen.“ Sicherlich werden sich viele SPD-Mitglieder selbstkritisch fragen, ob es nicht doch sinnvoller gewesen wäre, den Vizekanzler Olaf Scholz zum Parteichef zu wählen. Diese Messe ist allerdings gesungen. Von Kevin Kühnert, den Parteichefmacher, hört man in diesen Tagen wenig.
Mit einer Feststellung hat Vehlewald recht: „Die SPD – und ihre Anführer – können von der Corona-Krise bislang bei der Wählerschaft kaum punkten.“ Ehrlich gesagt, gar nicht. Alles andere als hilfreich ist es, wenn sich Esken und Walter-Borjahns auch noch widersprechen. Wenn die eine meint, wir brauchen keine Ausgangssperre und der andere befürchtet, nicht drum herumzukommen, klingt das nicht nach Absprache. Genüsslich erwähnt Vahrenwald, dass SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil das Hin und Her seiner Chefs ihn „nicht amüsiert“ habe. Tja. Die Grenze zwischen Politik und Comedy verschwimmt manchmal. Und noch eins drauf von Bild: „Nur eines kam Esken und Walter-Borjans durch die Krise zu-gute: Das Ende ihrer 100-Tage-Frist im Amt (14. März) ging in den Corona-Schlagzeilen einfach unter. Die übliche Bilanz ihrer ‚Verdienste‘ seit der Wahl im Dezember blieb ihnen damit erspart.“ Man muss auch mal Glück haben.
Ed Koch
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