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geschrieben von: Redaktion am 31.01.2022, 05:57 Uhr
paperpress597
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Am 30. März 2021 hat der Deutsche Bundestag das „Gesetz zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität“ verabschiedet. Zum 1. Februar diesen Jahres tritt nunmehr der letzte Teil der Neuregelungen in Kraft, nämlich eine Ergänzung des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes, von der sich die Ermittler:innen für die Zukunft eine deutlich höhere Aufklärungsquote bei Hasskriminalität im Internet versprechen. So wird bundesweit mit jährlich rund 150.00 zusätzlichen Strafverfahren gerechnet, die ausschließlich auf Mitteilungen beruhen, zu denen die Betreiber großer sozialer Netzwerke aufgrund dieser Gesetzesänderung künftig verpflichtet sind. Bei der hierfür eingerichteten Zentralen Meldestelle für strafbare Inhalte im Internet (ZMI) beim Bundeskriminalamt (BKA) werden dann rund 200 Polizeibeamt:innen die entsprechenden Verfahren auf die örtlich zuständigen Landeskriminalämter verteilen, von wo aus sie an die jeweiligen Staatsanwaltschaften weitergeleitet werden. Die Strafverfolgungsbehörden erwarten, dass hierdurch eine Vielzahl von bislang anonym gebliebenen Verfasser:innen strafbarer Inhalte, etwa in Facebook-Postings oder Twitter-Beiträgen, ermittelt und bestraft werden können. Diese Erwartungen beruhen im Wesentlichen auf folgender Ergänzung der Rechtslage, welche die sozialen Netzwerke erstmals zur Weitergabe maßgeblicher Daten an das BKA verpflichtet:
„§ 3a Netzwerkdurchsetzungsgesetz
Meldepflicht
(1) (…)
(2) Der Anbieter eines sozialen Netzwerks muss dem Bundeskriminalamt als Zentralstelle zum Zwecke der Ermöglichung der Verfolgung von Straftaten Inhalte übermitteln,
1. die dem Anbieter in einer Beschwerde über rechtswidrige Inhalte gemeldet worden sind,
2. die der Anbieter entfernt oder zu denen er den Zugang gesperrt hat und
3. bei denen konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sie mindestens einen der Tatbestände
a) der §§ 86, 86a, 89a, 91, 126, 129 bis 129b, 130, 131 oder 140 des Strafgesetzbuches,
b) des § 184b in Verbindung mit § 184d des Strafgesetzbuches oder
c) des § 241 des Strafgesetzbuches in Form der Bedrohung mit einem Verbrechen gegen das Leben, die sexuelle Selbstbestimmung, die körperliche Unversehrtheit oder die persönliche Freiheit
erfüllen und nicht gerechtfertigt sind.
(3) Der Anbieter des sozialen Netzwerks muss unverzüglich, nachdem er einen Inhalt entfernt oder den Zugang zu diesem gesperrt hat, prüfen, ob die Voraussetzungen des Absatzes 2 Nummer 3 vorliegen, und unverzüglich danach den Inhalt gemäß Absatz 4 übermitteln.
(4) Die Übermittlung an das Bundeskriminalamt muss enthalten:
1. den Inhalt,
2. sofern vorhanden, die IP-Adresse einschließlich der Portnummer, die als letztes dem Nutzer, der den Inhalt mit anderen Nutzern geteilt oder der Öffentlichkeit zugänglich gemacht hat, zugeteilt war.
(5) bis (7) (…).“
Diese Neuregelung bedeutet, dass anonym verbreitete Hassreden, Drohungen – zum Beispiel gegenüber Politiker:innen – oder volksverhetzende Beiträge unaufgefordert mit den für die Ermittlung der Verfasser:innen relevanten Daten der Polizei übermittelt werden müssen, selbst wenn diese dort noch gar nicht bekannt sind. Die Polizeibehörden stellen sodann die Klarpersonalien der Urheber:innen strafbarer Beiträge im Internet fest und leiten ihre Erkenntnisse zum Zwecke der Strafverfolgung an die Staatsanwaltschaften weiter. Von praktischer Relevanz für die strafrechtliche Verfolgung von Hasskriminalität im Internet sind hierbei – neben dem „Verbreiten von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen“ (§ 86 StGB) und „Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen“ (§ 86a StGB), also etwa Verwenden verbotener Zeichen oder Symbole des Nationalsozialismus – insbesondere die Straftaten der „Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten“ (§ 126 StGB), der „Volksverhetzung“ (§ 130 StGB) sowie der „Bedrohung“ (§ 241 StGB).
Eine weitere durch das „Gesetz zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität“ getroffene Neuerung ist die bereits im Sommer vergangenen Jahres in Kraft getretene Änderung bei strafbaren Beleidigungsdelikten zum Nachteil von Politiker:innen. So umfasst der geschützte Personenkreis des § 188 StGB („Gegen Personen des politischen Lebens gerichtete Beleidigung, üble Nachrede und Verleumdung“) seit der entsprechenden Änderung sämtliche Bereiche der Politik „bis hin zur kommunalen Ebene“. Die Vorschrift sanktioniert eine üble Nachrede (§ 186 StGB) gegenüber Politiker:innen mit einer Freiheitsstrafe von drei Monaten bis fünf Jahren, deren Verleumdung (§ 187 StGB) sogar mit einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren und eine Beleidigung (§ 185 StGB) mit Geldstrafe oder einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren, wenn „die Tat geeignet (ist), (deren) öffentliches Wirken erheblich zu erschweren“. Ebenfalls neu: in diesen Fällen bedarf es keines zwingenden Strafantrags der Geschädigten mehr, was die Ermittlungsbehörden in die Lage versetzt, derartige Taten unabhängig vom Strafverfolgungsinteresse der Betroffenen – allerdings aber auch nicht gegen deren ausdrücklich erklärten Willen – anzuklagen, wenn die Staatsanwaltschaft „wegen des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung ein Einschreiten von Amts wegen für geboten hält.“ Denn bei weitem nicht jede:r Politiker:in zeigt zum eigenen Nachteil begangene Straftaten auch an oder erklärt gegenüber den Ermittlungsbehörden das – in anderen Fällen für die Strafverfolgung einer Beleidigung als sog. „absolutes Antragsdelikt“ zwingend erforderliche – persönliche Interesse an einer entsprechenden Strafverfolgung.
Die Erfolge bei der Ermittlung eben solcher Straftaten, soweit über das Internet begangen, waren bislang höchst überschaubar. Dies lässt sich insbesondere damit erklären, dass die Betreiber sozialer Netzwerke die Herausgabe der von ihnen gespeicherten Daten an die Strafverfolgungsbehörden zumeist verweigern und dies mit der Meinungsfreiheit ihrer Nutzer:innen begründen, obwohl die Freiheit der Meinungsäußerung in Deutschland durch die Strafgesetze beschränkt wird. Da die für die Ermittlung der Urheber:innen strafbarer Inhalte relevanten Daten in aller Regel im Ausland gespeichert sind, bleibt den Justizbehörden in diesen Fällen nur der Weg über justizielle Rechthilfeersuchen in die entsprechenden Länder, insbesondere die USA und Irland. Betreffend die USA sind derartige Rechtshilfeersuchen indes regelmäßig von vornherein aussichtslos, da die dortige Gesetzeslage die Freigabe der erforderlichen Daten nicht nur bei Beleidigungen, sondern etwa auch für volksverhetzende und andere strafbare Inhalte verbietet.
In der Bundeshauptstadt sind strafrechtliche Ermittlungsverfahren aus dem Bereich der „Hasskriminalität“ mit Berliner Zuständigkeit – und damit auch betreffend sämtliche Bundespolitiker:innen als Geschädigte – auf zwei Abteilungen der Staatsanwaltschaft Berlin mit insgesamt einem guten Dutzend Staatsanwält:innen konzentriert, die der im Sommer 2020 ins Leben gerufenen „Zentralstelle Hasskriminalität“ der Strafverfolgungsbehörde zugeordnet sind. Zwar haben die beiden Abteilungen neben der Bekämpfung der Hasskriminalität – hierzu gehören etwa auch homo- und transphobe Straftaten – noch weitere Zuständigkeiten, erwarten jedoch einen deutlichen Zuwachs an Arbeit aufgrund der Zulieferung entsprechender Ermittlungsverfahren durch das BKA.
Aber auch in Zeiten des Internets und digitaler Massenkommunikation gibt es noch, wenn auch immer seltener, die untechnische Variante anonymer Straftaten, wie sie in vergangenen Jahrzehnten – wenn auch deutlich seltener – verbreitet war: Das Verfassen von Schreiben mit kriminellem Inhalt, die ganz „klassisch“ von einem pseudonymen Absender in den Briefkasten geworfen werden. So verschickte ein bislang unbekannter Täter im Dezember 2021 bundesweit unter anderem an hochrangige Bundes- und Landespolitiker zahlreiche Postsendungen, denen jeweils ein Stück rohes Fleisch beigefügt war und ein ausgedrucktes Drohschreiben des Inhalts, dass der „Widerstand“ gegen die Impfung „blutig und unappetitlich“ werde. Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft zur Identifizierung des Täters dauern an.
Der Verfasser des Beitrags ist derzeit stellvertretender Leiter einer Abteilung, die der „Zentralstelle Hasskriminalität“ der Staatsanwaltschaft Berlin zugeordnet ist.
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