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Überfordert

geschrieben von: Redaktion am 28.03.2023, 08:55 Uhr
paperpress611 
Demokratie muss Spaß machen und darf die Menschen nicht überfordern. Meine Beobachtungen bei der Wiederholungswahl und beim Volksentscheid zeigen, dass nicht nur ältere Menschen den Sinn, auf drei Wahlscheinen jeweils ein Kreuz machen zu sol-len, nicht verstehen. Wie oft habe ich die Frage gehört, was denn die BVV sein soll. Auch den Unter-schied zwischen Erst- und Zweitstimme verstehen nicht alle.


Von 2,4 Millionen sind am 12. Februar nur 1,5 Millionen wählen gegangen, das heißt, rund 900.000 Menschen interessiert das alles nicht. Die CDU freut sich über ein Wahlergebnis von 28,2 Prozent, in Wahrheit sind es nur 17,6 der Berlinerinnen und Berliner. Prozentual stehen hinter der wahrscheinlich neuen Koalition aus CDU und SPD nur 29 Prozent aller Wahlberechtigten, und nur 18,4 Prozent aller in Berlin lebenden Menschen. Es ist geradezu vermessen, von einer Mehrheit zu sprechen.

Aber, Demokratie bedeutet, dass diejenigen das Sagen haben, die mehr Leute hinter sich versammeln können als die anderen. Grüne, Linke und AfD repräsentieren nur 15,6 aller Einwohner der Hauptstadt.

Im Bundestag sitzen derzeit 736 Abgeordnete. Die Zahl soll auf 630 reduziert werden, obwohl ursprünglich die Zahl 598 im Gesetz stand. Mit 630 Abgeordneten gehören wir immer noch zur Spitzengruppe in der Welt, kurz hinter Großbritannien mit 650 und gleichauf mit Italien 630. Das künftig bevölkerungsreichste Land der Welt, Indien, kommt mit 545 Abgeordneten aus, die USA mit 435, wozu noch die 100 Senatoren hinzugerechnet werden müssen.

Unser Wahlsystem ist eines der gerechtesten welt-weit, weil sich der Wählerwille prozentual im Parlament abbildet. In Großbritannien sitzt nur im Unter-haus, wer einen Wahlkreis gewonnen hat. Die Tories haben 2019 43,6 Prozent gewonnen, stellen aber 56 Prozent der Abgeordneten, bei Labour ist es ausgewogen, 32,2 Prozent der Stimmen und 31 Prozent der Mandate. Schlecht sieht es allerdings für die Liberalen aus, sie haben 11,5 Prozent der Stimmen gewonnen, dürfen aber nur elf der 650 Abgeordneten, also 1,7 Prozent, stellen.

Abgeschafft werden soll für den nächsten Bundestag die Regelung, dass, wer seinen Wahlkreis gewinnt, auch ins Parlament einziehen kann. In Großbritannien ist das auch weiterhin möglich, die Grünen sind im Unterhaus mit einem Abgeordneten vertreten und haben 2,7 Prozent geholt. Bei uns reichten bis-lang drei gewonnene Wahlkreise aus, damit die Linke in Fraktionsstärke mit 39 Abgeordneten ins Parlament einziehen konnte, obwohl sie knapp unter fünf Prozent lag. Es saßen auch schon mal Gesine Lötzsch und Petra Pau zu zweit im Bundestag. Dass eine Partei bei drei gewonnenen Direktmandaten Fraktionsstärke erlangt, obwohl sie unter fünf Prozent liegt, halte ich für unangemessen. Dass dies geändert wurde, ist vollkommen in Ordnung. Nicht in Ordnung ist hingegen, dass, wer seinen Wahlkreis gewonnen hat, nicht ins Parlament gelassen wird. „Den Direktkandidaten aus der Erststimme wird das Mandat nur zugeteilt, wenn das durch das Ergebnis der Zweitstimme gedeckt ist.“ Deutschlandfunk

Sorry, verehrte Ampel, aber das geht nun gar nicht. Man kann nur hoffen, dass das Bundesverfassungsgericht diesen Unsinn stoppt. Wie will man den Bürgern vermitteln, dass sie mehrheitlich einen Kandidaten gewählt haben, dieser aber kein Mandat erhält? Es muss eine andere Regelung gefunden werden, jenseits von Ausgleichs- und Überhangmandaten. Der prozentuale Wille muss im Parlament abgebildet werden, gleichzeitig darf niemand, der den Wahlkreis gewonnen hat, vor der Tür des Parlaments stehen gelassen werden. Notfalls müssen die Wahlkreise vergrößert werden, 299 gibt es, 200 tun es vielleicht auch.

Noch ein Wort zum Volksentscheid

Die Analysen laufen. Fakt ist, dass die Abstimmungsbeteiligung bei 35,8 Prozent liegt. Und nur 18,2 Prozent der Abstimmungsberechtigten haben mit Ja gestimmt. Von denen, die abgestimmt haben, wussten viele gar nicht so genau, worum es geht. Trotz 50-seitiger Broschüre, die kaum jemand gelesen hat, tauchten im Abstimmungslokal immer wieder Fragen auf, worum es denn eigentlich gehe. Einige saßen lange Zeit in der Wahlkabine und haben sich erst einmal den Stimmzettel durchgelesen. Immer klarer wird mir, wie es 2021 zu den Problemen kommen konnte. Fünf Kreuze machen zu sollen, dauert Zeit. Und wenn dann nur zwei Wahlkabinen aufgestellt werden, jetzt sind doppelt so viele, bilden sich halt lange Schlangen. Das konnte gar nicht gut gehen.

Volksentscheide halte ich grundsätzlich für unsinnig. Wir haben ein auf Zeit gewähltes Parlament, das für die Gesetzgebung zuständig ist. Über den Volksentscheid zur Randbebauung des ehemaligen Flughafens Tempelhof haben Menschen abgestimmt, die nie an diesem Gelände vorbeigekommen sind, und denen es auch völlig egal war, ob dort gebaut wird oder nicht. Es ging einzig und allein darum, den Senat in den Hintern zu treten, Protest um des Protestes Willen. Jedes, auch durch Volksentscheid beschlossene Gesetz kann wieder geändert werden. Bei einer möglichen Randbebauung des Tempelhofer Feldes am Tempelhofer Damm sollte man vorher bedenken, wie die Menschen, die dort wohnen wer-den, wegkommen. Nicht alle werden mit U- und S-Bahn fahren wollen oder können. Viele werden auch Autos haben, und wo bitte damit langfahren? Auf dem heute schon permanent überlasteten Tempelhofer Damm? Viel Spaß.

Beim Klima-Volksentscheid haben viele gar nicht verstanden, worum es überhaupt geht. Die Wesselmann-Tafeln haben nichts genutzt, die Spendenmillionen, die die Initiatoren sogar aus den USA bekommen haben, sind verpulvert worden. Es freu-en sich allein die Werbefirmen für die guten Aufträge. Knapp 40 Millionen Euro hat die Wiederholungs-wahl gekostet, viele weitere Millionen der Volksentscheid. Wir hauen das Geld raus, als gäbe es kein Morgen.

Demokratie ist eine schöne Sache und ein hohes Gut. Die Menschen müssen aber auch verstehen können, wie man an ihr teilhaben kann. Volksentscheide, deren Realisierung nicht möglich ist, dürften erst gar nicht zugelassen werden.

Ed Koch

  
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