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Beiträge: Wie böse sind die Jugendämter?

geschrieben von: Redaktion am 29.01.2008, 07:35 Uhr
paperpress553 
In den letzten Tagen häufen sich Medienberichte über Jugendämter, die den Eltern ihre Kinder wegnehmen. Das Schreckgespenst einer Behörde wird an die Wand gemalt. Die bösen Sozialarbeiter suchen offenbar von früh bis spät nach Möglichkeiten, wie sie Eltern ihre Kinder entziehen können. Natürlich völlig grundlos.
Die Zeitung mit den überdimensionalen Buchstaben weiß von einem schlimmen Fall in Spandau zu berichten. Nein, es geht nicht um das tote Kind, das vielleicht noch leben würde, wenn es rechtzeitig den Eltern weggenommen worden wäre. Es gab nur leider keinen triftigen Grund dafür. Hier geht es um ein 12-jähriges Mädchen, 1.70 m groß und 95 Kilogramm schwer. Sport zu treiben fiel ihr schwer, „auf Chips und Cola zu verzichten, auch“. Tragisch. Alle möglichen Kuren haben nichts gebracht. Die Eltern sind offenbar überfordert. Das Jugendamt droht nun, den Eltern das Kind zu entziehen und der Jugendamtsdirektor sagt: „Wenn eine akute Gefährdung der Gesundheit besteht, kann den Eltern auch das Sorgerecht entzogen werden.“ Nicht erwähnt wird jedoch, dass eine Sorgerechtsentscheidung ein Jugendamt nur einleiten, nicht aber beschließen kann. Dazu bedarf es eines Richters.

Und dass die Richter nicht alles nachvollziehen, was ein Jugendamt für richtig hält, zeigt eine andere Geschichte, über die die BERLINER MORGENPOST berichtete. „Polizei befreit Baby aus Jugendamt“. Offenbar hat sich ein Überschriftenredakteur von BILD zur MOPO verirrt. Das Jugendamt kam zu der Auffassung, die Mutter könne nicht für ihr Kind sorgen, und nahm ihr den Säugling weg. „Eine Psychologin bescheinigte der Kindesmutter jedoch einen stabilen Zustand, sie sei wach, orientiert, wenn auch in gedrückter Stimmung.“, steht in der Morgenpost zu lesen. „Das Familiengericht gab der Mutter Recht und merkte an, das Jugendamt habe nie persönlich mit Frau C. gesprochen. Allein die Möglichkeit, dass die Mutter mit der Betreuung überfordert sein könnte, rechtfertige nicht, das Kind in Obhut zu behalten. Die Trennung von der Familie könne nur letztes Mittel sein.“

Die spektakuläre Rückgabe des Kinder vor dem Neuköllner Jugendamt erfolgte exklusiv in Anwesenheit eines Fotografen der Berliner Morgenpost. Eingefädelt hatte diese pressewirksame Aktion ein Rechtsanwalt namens Boris Thöner. Dieser Rechtsanwalt macht sich gegenwärtig einen Namen mit dem Kampf gegen Inobhutnahmen von Kindern. Mit einer anderen Geschichte bedachte er exklusiv die BERLINER ZEITUNG. Hier ist die Polizei nicht gefordert, um gegen das Jugendamt vorzugehen, sondern gegen die Mutter. Der Mutter ist durch einen Richter das Sorgerecht entzogen worden, der Vater hatte es nie. Bereits ein anderes Kind ist der Mutter entzogen worden. Dafür liegen offenbar dem Jugendamt und der Vormundschaft Gründe vor, die den Richter überzeugten.

Der Mutter war es gelungen, ihren heute sieben Monate alten Sohn, bereits im August des letzten Jahres aus der Obhut einer Mutter-Kind-Einrichtung zu entziehen, zu einem Zeitpunkt, als sie nicht mehr das Sorgerecht für das Kind hatte. Seitdem wird sie per Haftbefehl gesucht. Das Kind lebt offenbar bei der Familie des Vaters, juristisch gesehen in der Illegalität. An den Vorsorgeuntersuchungen kann das Kind gegenwärtig nicht teilnehmen. Der Redakteur der Berliner Zeitung baut eine haarsträubend rührende Geschichte auf, garniert mit einem großformatigen Farbfoto mit Oma und Opa, die sich liebevoll um das Kind kümmern. Exklusiv für die Berliner Zeitung. Das zuständige Jugendamt Tempelhof-Schöneberg will einfach nicht einsehen, dass es dem Kind bei der Familie des Vaters gut geht. „Wenn sie es erstmal haben, ist es weg“, sagt der Vater zur Berliner Zeitung. „Warum könne nicht einfach jemand vorbeikommen und sich überzeugen, dass es dem Kind in der Familie gut geht?“ Wie denn, wenn die Familie das Kind vor dem Jugendamt mit Billigung des Rechtsanwalts versteckt.

Aber die Pressekonferenzen in der Illegalität gehen weiter. Boris Thöner vermittelt gern Pressevertretern Einblicke in das Familienleben des Kindes. Ein Reporter von Radio Multikulti durfte auch das Kind sehen und interviewte anschließend die zuständige Jugendstadträtin aus Tempelhof-Schöneberg, Angelika Schöttler (SPD). Die Entscheidung darüber, wo sich das Kind aufhalten darf und wer das Sorgerecht bekommt, trifft ein Gericht. Dass das Kind nicht ungeprüft einfach so bei den Großeltern bleiben kann, wenn niemand von ihnen das Sorgerecht hat, wollen sie nicht akzeptieren und erhalten offenkundig Unterstützung in dieser Haltung durch den Kämpfer gegen willkürliche Inobhutnahmen, Rechtsanwalt Boris Thöner. Welches Recht vertritt dieser Anwalt eigentlich?

DER TAGESSPIEGEL schreibt am 17. Januar 2008 „Jugendämter nehmen häufiger Kinder in Obhut“. Seit im Mai 2007 die Kinderhotline eingerichtet wurde, gab es in Neukölln alleine 25 % mehr Hinweise auf vernachlässigte Kinder. „Durch die Hotline wurde eine Grauzone beleuchtet“, kommentiert Neuköllns Jugendstadträtin Gabriele Vonnekold (Grüne) den Anstiegt gegenüber dem TAGESSPIEGEL. Betrachtet man jedoch die Berliner Gesamtzahlen, so gab es 2002 9.479 Kinder in Heimen und Pflegefamilien, und 2007 8.195. Welche Gründe für den Rückgang eine Rolle spielen, konnte der TAGESSPIEGEL bei der zuständigen Senatsjugendverwaltung nicht ermitteln. Die Jugendämter sind in einer schwierigen Situation. Inobhutnahmen werden häufig als Überreaktion bezeichnet. Kommt allerdings ein Kind zu Schaden, wird den Jugendämtern vorgeworfen, nicht rechtzeitig etwas getan zu haben. Die Medien allerdings sollten auf eine sensationsheischende Berichterstattung verzichten, vor allem, wenn sie Hinweise eines bestimmten Rechtsanwaltes nachgehen.
Chris Landmann / Malte Groth

Anhang:

Zum Fall des siebenmonatigen Kindes, über das die BERLINER ZEITUNG berichtete, gibt es eine neue Entwicklung. Am Montag, dem 28. Januar 2008, fand ein Gerichtstermin statt. Die Familie erschien, ohne das Kind. Letztlich lenkte sie aber ein, und gab den Aufenthaltsort preis. Der Richter handelte pragmatisch, fuhr zu dem jetzigen Aufenthaltsort des Kindes und zu dem, wo das Kind vorher war und eine Reihe von Pressekonferenzen über sich ergehen lassen musste. Der Richter, eine Ärztin und Mitarbeiterinnen des Jugendamtes Tempelhof-Schöneberg nahmen die Situation in Augenschein und entschieden, bis zur Klärung der Sorgerechtsfrage das Kind in der Familie, bei den Großeltern, zu belassen. Dies alles hätte viel früher geschehen können, wenn die Familie nicht rechtswidrig das Kind versteckt hätte.

Es ist ein großes Entgegenkommen der Behörden, so wie jetzt zu verfahren. Bleibt zu hoffen, dass sich die Familie des Vertrauens des Richters und Jugendamtes würdig erweist. Seit August des letzten Jahres, seitdem das Kind illegal bei der Familie des Vaters lebt, war dieser Familie das Recht ziemlich egal. Dieser Umstand und auch der Haftbefehl gegen die Mutter spielen nun offenbar keine Rolle mehr. Beharrlichkeit hat über den Rechtsstaat gesiegt. Die Meinungen über die Beurteilung des Vorganges gehen weit auseinander. Ein Anrufer in unserer Redaktion sprach sogar von einem Skandal.

Andere sagen, der Richter hat besonnen gehandelt. Nicht vorstellbar, wenn unter dem Blitzlichtgewitter der Fotografen die Polizei der Familie das Kind weggenommen hätte, was rechtlich betrachtet, auf Anordnung des Richters auch hätte geschehen können. Die Familie hat einen Teilsieg errungen, zum Wohle des Kindes, hoffen wir. Der Artikel in der BERLINER ZEITUNG vom 29.1.2008 zu diesem Fall schildert den Vorgang erneut emotional als Sieg über die bösen Jugendämter, die immer nur starr auf ihren Positionen beharren. „Der Richter an der Wiege“ ist der 2. Teil der Geschichte, die am 22.1.2008 mit der Überschrift „Alles geregelt zum Wohle des Kindes“ begann. „Das Jugendamt lenkt ein“, schreibt der Redakteur der BERLINER ZEITUNG in seiner Überschrift am 29.1.2008. „Familie gibt endlich Aufenthaltsort des Kindes preis“, wäre die korrektere Überschrift gewesen.

Die Story der BERLINER ZEITUNG, in die sich auch Radio Multikulti eingeschaltet hat, ist noch nicht zu Ende. Noch gibt es keine Entscheidung über das Sorgerecht. Es könnte also einen dritten Teil der Fortsetzungsgeschichte der BERLINER ZEITUNG geben. Hoffen wir auf ein Happy End, ohne zu vergessen, dass hier ein Präzedenzfall geschaffen wurde, der anderen Richtern noch Kopfzerbrechen bereiten kann.



  
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