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Beiträge: Streit zwischen Jugendämtern und Sarrazin eskaliert

geschrieben von: Redaktion am 02.06.2008, 11:03 Uhr
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Die Liste derer, die von Finanzsenator Thilo Sarrazin beleidigt worden sind, wächst weiter an. Die Jugendstadträtinnen und –stadträte hätten eine „arrogante Einstellung“, es sei „ein Skandal“ wie sie sich verhielten und sie jammern grundlos herum, sagte der Senator in einem Interview mit der Berliner Abendschau.
Warum diese heftige Reaktion? Am 14. Mai haben alle zwölf Jugendamtsdirektorinnen und –direktoren ein Schreiben an die politisch Verantwortlichen des Landes Berlin mit der „dringenden Bitte“ geschickt, „sie bei der Lösung der nachfolgend aufgezeigten Problemlage nachhaltig zu unterstützen, um den erforderlichen Kinderschutz zu gewährleisten. Die im Artikel 6 Grundgesetz definierte ‚Wächterfunktion’ der stattlichen Gemeinschaft wird federführend durch die Jugendämter wahrgenommen. Das heißt, die Jugendämter haben nicht nur darüber zu wachen, inwieweit Eltern ihren Kindern eine gedeihliche Erziehung zukommen lassen, sondern insbesondere darüber, inwieweit der Schutz von Kindern und Minderjährigen in der Familie gewährleistet ist.

Der Kinderschutz ist somit der zentrale Auftrag der öffentlichen Jugendhilfe und stellt die essentielle Aufgabe der Jugendämter dar. Er hat Vorrang vor jeder anderen Leistungserbringung durch die Jugendämter. Um einen noch wirkungsvolleren und besseren Schutz von Kindern und Jugendlichen vor Gefahren für ihr Wohl zu erreichen, hat der Gesetzgeber als Schwerpunkt des Kinder- und Jugendhilfeentwicklungsgesetzes die Konkretisierung und Strukturierung des Schutzauftrages bei Kindeswohlgefährdung (Einführung des § 8 a SGB VIII) vorgenommen. Infolge dessen hat das Land Berlin mit der Verabschiedung des Netzwerkes Kinderschutz und den Ausführungsvorschriften zum § 8 a (Schutzauftrag bei Kindeswohlgefährdung) ein bundesweit vorbildliches Instrumentarium zur frühzeitigen Erkennung von Kindeswohlgefährdung geschaffen.

Zur Realisierung dieser Vorhaben hat das Abgeordnetenhaus von Berlin die Bereitstellung von 2 zusätzlichen Stellen pro Bezirk für die Jugendämter beschlossen. Dies zusammen bietet die Möglichkeit, die Kinderschutzsituation in der Stadt Berlin zu verbessern und auf die zunehmenden Notlagen von Kindern und Jugendlichen zu reagieren.

Wir, die Leiterinnen und Leiter der Berliner Jugendämter, nehmen diesen Auftrag mit Überzeugung und hohem Verantwortungsbewusstsein an. Wir müssen aber mit großer Sorge feststellen, dass bei der Realisierung der dringend notwendigen Stellenbesetzungen erhebliche Schwierigkeiten auftreten. Das Bemühen des ZeP (Zentraler Stellenpool), geeignetes Personal zur Verfügung zu stellen, ist anzuerkennen; im Ergebnis müssen wir nunmehr allerdings zur Kenntnis nehmen, dass nur wenige vermittelte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter geeignet sind, den Dienst in den Regionalen Sozialpädagogischen Dienstes anzutreten.

Wir stellen fest, dass in zu vielen Fällen die durch den Abschluss an einer Fachhochschule für Sozialarbeit erworbenen Fähigkeiten, Fertigkeiten und Kenntnisse zu Berufsausübung einer/eines Sozialarbeiter/in nicht vorhanden sind und auch in dem derzeit angebotenen Qualifizierungslehrgang nicht erreicht werden können.

Darüber hinaus fehlt die erforderliche Motivation und teilweise bestehen gravierende gesundheitliche Einschränkungen, die einen effizienten Arbeitseinsatz nicht möglich machen. Insgesamt ist bei vielen Bewerber/innen eine ausgeprägte Angst zu beobachten, diese verantwortungsvolle und auch strafrechtlich im Sinne der sog. Garantenhaftung zu verantwortende Tätigkeit zu übernehmen.

Ebenfalls sind die vom ZeP zu vermittelnden Mitarbeiter/innen in den meisten Fällen nicht bereit und in der Lage, auch bei erfolgter Einarbeitung – die für die übrigen Fachkräfte der Jugendämter eine große zusätzliche Belastung darstellt – diese Arbeitsaufgaben und insbesondere die Tätigkeit im bezirklichen Kinderschutz/Krisendienst auszuführen.

Gemäß § 8 a in Verbindung mit § 72 SGB VIII (Text im Anhang) sind zur Erfüllung der Schutzaufgaben bei Kindeswohlgefährdung ausgebildete Fachkräfte einzusetzen, die den Schutzauftrag in entsprechender Weise wahrnehmen und bei der Abschätzung des Gefährdungsrisikos schnell und kompetent reagieren können. Sie müssen die zweistufigen Verfahren zur Abschätzung des Gefährdungsrisikos beherrschen, das Ausmaß einer Gefährdung eigenverantwortlich erkennen und es sicher dokumentieren können.

In unserer Verantwortung als Leiterinnen und Leiter der Berliner Jugendämter sehen wir uns in der Pflicht, die politisch Verantwortlichen des Landes Berlin darauf hinzuweisen, dass aufgrund der nicht rechtzeitig zur Verfügung stehenden, fachlich hinreichend qualifizierten Sozialarbeiter der zentrale Auftrag der öffentlichen Jugendhilfe, wie oben beschrieben, nicht zuverlässig wahrgenommen werden kann.

Die Fachkräfte der Regionalen Sozialpädagogischen Dienste sind durch diese Situation und das fehlende Personal seit Monaten an der Grenze ihrer Belastbarkeit. Bei zahlreichen Fachkräften ist die Belastungsgrenze bereits überschritten: die Ausfälle durch langfristige Erkrankungen haben in erschreckender Weise zugenommen.

Wir bitten Sie, diesen Sachverhalt zur Kenntnis zu nehmen und in Ihrer Verantwortung als politische Mandatsträger dieser Stadt, die Außeneinstellung von ausgebildeten, geeigneten Sozialarbeitern/Sozialpädagogen zu ermöglichen, um die an-gestrebte und notwendige Funktionsfähigkeit der bezirklichen Jugendämter zu erreichen.

Darüber hinaus bitten wir Sie um dringende Unterstützung, den Personalschlüssel der bezirklichen Jugendämter und hier insbesondere der Regionalen Sozialpädagogischen Dienste sukzessive dem gesetzlich erweiterten und konkretisierten Kinderschutzauftrag anzupassen.“

Am 27. Mai 2008 legten die Jugendstadträtinnen und –stadträte mit einer Presseerklärung nach. Die Tempelhof-Schöneberger Jugendstadträtin Angelika Schöttler (SPD), erklärte vor dem Jugendhilfeausschuss ihres Bezirks, dass es ein Novum sei, dass alle Jugendamtsdirektorinnen und –direktoren und alle Stadträtinnen und –stadträte die beiden Papiere unterschrieben hätten. So viel Übereinstimmung gab es noch nie. In der Presseerklärung der Jugendstadträtinnen und –stadträte heißt es wörtlich:

„Wir sehen mit großer Sorge die Personalentwicklung in den Berliner Jugendämtern. Die zusätzlichen 24 Stellen für das Netzwerk Kinderschutz konnten bisher noch immer nicht mit geeignetem Fachpersonal besetzt werden. Nach wie vor wird den Berliner Jugendämtern eine generelle Möglichkeit für Außeneinstellungen verwehrt. Die Regionalen Sozialpädagogischen Dienste haben den Auftrag, Familien zu beraten und zu unterstützen und die Aufgaben des Kinderschutzes wahrzunehmen. Allein hier sind derzeit über 40 Stellen für Sozialarbeiter/innen nicht besetzt. Bis Ende 2009 werden weitere 72 Stellen durch altersbedingtes Ausscheiden unbesetzt sein.

Damit haben die Berliner Jugendämter einen Personalbedarf von rd. 140 Stellen in den nächsten 18 Monaten. Der zentrale Stellenpool ist nicht in der Lage und wird auch weiterhin nicht in der Lage sein, geeignetes Personal zu rekrutieren. Wo kein Fachpersonal vorhanden ist, kann auch kein geeignetes Fach-personal in die Berliner Jugendämter vermittelt werden. Dieser dringende und wichtige Personalbedarf für den Kinderschutz ist nur durch Außeneinstellungen zu sichern.

Die gesetzliche Verpflichtung der Berliner Jugendämter, Kinder, Jugendliche und Familien in Notsituationen zu beraten und in Kinderschutzfällen einzugreifen, wird durch die personalpolitischen Entscheidungen des Landes gefährdet. Bis Ende 2009 müssen diese 140 freien Stellen sofort besetzt werden können. Die Berliner Jugendämter brauchen sofort einen Einstellungskorridor von mindestens 50 Stellen pro Jahr. Dabei müssen endlich auch Sozialarbeiter/innen vorrangig eingestellt werden können, die neben der deutschen noch eine weitere Sprache der in Berlin lebenden Bevölkerung fließend beherrschen.

Die Berliner Jugendhilfe ist überaltert. 547 Mitarbeiter/innen sind über 55 Jahre, davon allein 300 Sozialarbeiter/innen, die für den Kinderschutz- und Hilfeauftrag der Jugendhilfe einge-setzt sind.

Kinderschutzarbeit setzt viel Können, Wissen und Erfahrung voraus. Diese Kompetenzen für einen wirksamen Kinderschutz müssen in der praktischen Arbeit mit Familien auf der Basis einer guten Hochschulausbildung erworben werden. Ältere Kolleginnen und Kollegen müssen ihr Fachwissen und ihre Erfahrungen an jüngere Kolleg/innen weitergeben können. Ohne einen vernünftigen Altersaufbau in der Berliner Jugendhilfe gehen diese Kompetenzen und Erfahrungen verloren. Damit entsteht nicht nur eine Gefährdungslage für den Kinderschutzauftrag durch nicht besetzte Stellen, sondern auch durch den drohenden Verlust von Kompetenzen und Erfahrungen für die vielen schwierigen Kinderschutzfälle. Nur durch einen vernünftig dimensionierten Einstellungskorridor ist der Wissens- und Erfahrungstransfer im Kinderschutz zu sichern.

Das Netzwerk Kinderschutz lebt vom gemeinsamen Werk von Jugendhilfe, Gesundheitsdiensten und Polizei. Ohne ausreichendes Personal ist der Kinderschutzauftrag der Jugendhilfe erheblich gefährdet. Seit mehreren Jahren wird der Personalbestand in den Berliner Jugendämtern vollständig für alle Bezirke erhoben. Diese Daten weisen auf die immer dramatischer werdende Personalsituation der Berliner Jugendämter hin. In Kenntnis dieser Daten, die Berliner Jugendämter auf den Zentralen Stellenpool zu verweisen, ist schlicht absurd und gefährdet den Schutz und die Sicherheit von Kindern und Jugendlichen in dieser Stadt.

Die Berliner Bezirksstadträt/innen für Jugend fordern daher sofortige Außeneinstellungen für die Regionalen Sozialpädagogischen Dienste der Berliner Jugendämter und einen Einstellungskorridor zur Besetzung von jährlich 50 freien Stellen für die Kinderschutz- und Beratungsaufgaben der Berliner Jugendämter.“

Für Thilo Sarrazin sind die Ausführungen der Jugendamtsleiter/innen und Stadträtinnen und Stadträte nicht nachvollziehbar. 4.121 Mitarbeiter/innen gebe es in den zwölf Berliner Jugendämtern. Und 24 jetzt noch oben drauf, erklärte in dem Interview mit der Berliner Abendschau. Die Forderungen der Bezirke nach qualifiziertem und teilweise auch mehrsprachigem Personal hält Sarrazin für „arrogant“. Auch dass die Jugendämter jüngeres Personal haben wollen, ist ihm unverständlich. Für ihn ist es ein Skandal, dass die Jugendämter nicht mit ihrem Personal zurecht kommen. Ob ein Kind in einer verwahrlosten Wohnung lebe, könne man auch mit gesundem Menschenverstand feststellen, dazu seien keine Fremdsprachenkenntnisse erforderlich.

Für Thilo Sarrazin sind die bezirklichen Jugendpolitikerinnen und –politiker schlichte Jammerlappen, die nichts auf die Reihe kriegen. Wer lügt hier eigentlich? Wo liegt die Wahrheit? Sarrazin hat zur besten Sendezeit die zwölf Jugendstadträtinnen und –stadträte Berlins übelst diffamiert. Er ist derjenige, der den Durchblick hat, alle anderen sind eben arrogant.

Warten wir also geduldig auf die nächsten Verwahrlosungsfälle, die aufgrund der von höchster Stelle attestierten Unfähigkeit der Verantwortlichen in den Bezirken zwangsläufig geschehen werden.

Anhang:

§ 8a Schutzauftrag bei Kindeswohlgefährdung

(1) Werden dem Jugendamt gewichtige Anhaltspunkte für die Gefährdung des Wohls eines Kindes oder Jugendlichen bekannt, so hat es das Gefährdungsrisiko im Zusammenwirken mehrerer Fachkräfte abzuschätzen. Dabei sind die Personen-sorgeberechtigten sowie das Kind oder der Jugendliche einzubeziehen, soweit hierdurch der wirksame Schutz des Kindes oder des Jugendlichen nicht in Frage gestellt wird. Hält das Jugendamt zur Abwendung der Gefährdung die Gewährung von Hilfen für geeignet und notwendig, so hat es diese den Personensorgeberechtigten oder den Erziehungsberechtigten anzubieten.

(2) In Vereinbarungen mit den Trägern von Einrichtungen und Diensten, die Leistungen nach diesem Buch erbringen, ist sicherzustellen, dass deren Fachkräfte den Schutzauftrag nach Absatz 1 in entsprechender Weise wahrnehmen und bei der Abschätzung des Gefährdungsrisikos eine insoweit erfahrene Fachkraft hinzuziehen. Insbesondere ist die Verpflichtung aufzunehmen, dass die Fachkräfte bei den Personensorgeberechtigten oder den Erziehungsberechtigten auf die Inan-spruchnahme von Hilfen hinwirken, wenn sie diese für erforderlich halten, und das Jugendamt informieren, falls die angenommenen Hilfen nicht ausreichend erscheinen, um die Gefährdung abzuwenden.

(3) Hält das Jugendamt das Tätigwerden des Familiengerichts für erforderlich, so hat es das Gericht anzurufen; dies gilt auch, wenn die Personensorgeberechtigten oder die Erziehungsberechtigten nicht bereit oder in der Lage sind, bei der Abschätzung des Gefährdungsrisikos mitzuwirken. Besteht eine dringende Gefahr und kann die Entscheidung des Gerichts nicht abgewartet werden, so ist das Jugendamt verpflichtet, das Kind oder den Jugendlichen in Obhut zu nehmen.

(4) Soweit zur Abwendung der Gefährdung das Tätigwerden anderer Leistungsträger, der Einrichtungen der Gesundheitshilfe oder der Polizei notwendig ist, hat das Jugendamt auf die Inanspruchnahme durch die Personensorgeberechtigten oder die Erziehungsberechtigten hinzuwirken. Ist ein sofortiges Tätigwerden erforderlich und wirken die Personensorgeberechtigten oder die Erziehungsberechtigten nicht mit, so schaltet das Jugendamt die anderen zur Abwendung der Gefährdung zuständigen Stellen selbst ein.

§ 72 Mitarbeiter, Fortbildung

(1) Die Träger der öffentlichen Jugendhilfe sollen bei den Jugendämtern und Landesjugendämtern hauptberuflich nur Personen beschäftigen, die sich für die jeweilige Aufgabe nach ihrer Persönlichkeit eignen und eine dieser Aufgabe entsprechende Ausbildung erhalten haben (Fachkräfte) oder aufgrund besonderer Erfahrungen in der sozialen Arbeit in der Lage sind, die Aufgabe zu erfüllen. Soweit die jeweilige Aufgabe dies erfordert, sind mit ihrer Wahrnehmung nur Fachkräfte oder Fachkräfte mit entsprechender Zusatzausbildung zu betrauen. 3Fachkräfte verschiedener Fachrichtungen sollen zusammenwirken, soweit die jeweilige Aufgabe dies erfordert.

(2) Leitende Funktionen des Jugendamts oder des Landesjugendamts sollen in der Regel nur Fachkräften übertragen werden.

(3) Die Träger der öffentlichen Jugendhilfe haben Fortbildung und Praxisberatung der Mitarbeiter des Jugendamts und des Landesjugendamts sicherzustellen.

  
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